Angstklausel im Gesamtarbeitsvertrag GAV Kabinenpersonal der Swiss

Wie die Sonntagszeitung heute berichtet machen immer mehr Swiss Flight Attendants Gebrauch vom den Angstklausel im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für das Swiss Kabinenpersonal, der von der Swiss International Airlines und kapers, der Vereinigung des Swiss Kabinenpersonals, ausgehandelt wurde, Gebrauch. Sie können sich durch die Angstklausel in Art. 25 Abs. 3 GAV ohne negative arbeitsrechtliche Konsequenzen von Flügen abmelden.

Die Tätigkeit von Kabinenpersonal in der Luftfahrt lässt sich nur schwer mit derjenigen in anderen Berufen vergleichen: Unregelmässige Arbeitszeiten, Zeitverschiebungen sowie ständige Druck- und Klimaunterschiede gehören genauso zur Berufsausübung wie das ständige Reisen in ferne Länder.

Keine Unterstellung unter das Arbeitsgesetz (ArG)

Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz sind vom Arbeitsgesetz (ArG) und den dazugehörigen Verordnungen geschützt. Beim Kabinenpersonal der Swiss International Airlines (Swiss) ist dies nicht der Fall.

Aufgrund von Art. 3 lit. c ArG ist das Arbeitsgesetz nicht auf die Besatzungen von schweizerischen Luftfahrtunternehmen anwendbar. Es handelt sich dabei rechtliche um eine persönliche Ausnahme vom Geltungsbereich des ArG.

Gesamtarbeitsvertrag (GAV) als Schutzinstrument

Wegen der Nichtanwendbarkeit des ArG ist der Gesamtarbeitsvertrag (AGV) von besonders grosser Bedeutung für das Kabinenpersonal. Er gewährleistet den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zusätzlichen Schutz zu den Bestimmungen von Art. 319 ff. OR.

Gesamtarbeitsvertrag (GAV) im Schweizer Arbeitsrecht

Der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ist ein Vertrag auf überbetrieblicher Ebene zwischen Arbeitgebern (oder deren Verbänden) auf der einen Seite und Arbeitnehmerverbänden auf der anderen Seite.

Der Gesamtarbeitsvertrag kommt durch übereinstimmende gegenseitige Willenserklärungen von Parteien zustande. Gemäss Art. 356c Abs. 1 OR bedarf der Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages, dessen Änderung und der Beitritt einer neuen Vertragspartei zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Form.

Normative Bestimmungen, wie z.B. die nachfolgend diskutierte Angstklausel des Swiss Kabinenpersonals, gelten während der Dauer des GAV unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmenden (Art. 357 Abs. 1 OR). Die normativen Bestimmungen verdrängen entgegenstehende Regelungen im Einzelarbeitsvertrag (EAV). Sie können auch – zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – nicht wegbedungen werden (sog. Unabdingbarkeit).

Gesamtarbeitsvertrag Cabin Crew Member 2015 der Swiss und seine Angstklausel

Am 1. Mai 2015 trat der neue und aktuelle Gesamtarbeitsvertrag Cabin Crew Member 2015 der Swiss in Kraft. Er wurde durch die Swiss und kapers, der Vereinigung des Swiss Kabinenpersonals, ausgehandelt.

Art. 25 des GAV besagt Folgendes:

Einsätze in Krisengebiete

«Einsätze in Zeiten erhöhter Gefährdung des Luftverkehrs, im Besonderen in Gebieten politischer und kriegerischer Wirren bedürfen des Einvernehmens mit dem Delegierten der kapers für Sicherheitsfragen.

Flüge mit offensichtlich erhöhtem Risiko werden nur aus humanitären Gründen durchgeführt. Für solche Flüge ist zusätzlich zum Einvernehmen mit dem Delegierten der kapers für Sicherheitsfragen das persönliche Einverständnis der CCM einzuholen. Ausgenommen von dieser Regelung sind Flüge, welche SWISS im Auftrag einer schweizerischen Behörde aufgrund einer zwingenden gesetzlichen Vorschrift durchführt.

Unabhängig von der Regelung gemäss Abs. 1 und 2 kann es für jedes CCM Gründe psychischer Natur (z.B. Angst) geben, welche es dem einzelnen CCM aufgrund dieser psychischen und persönlichen Belastung nicht erlauben, einen bestimmten Flug an eine bestimmte Destination durchzuführen. Das CCM steht für andere Einsätze uneingeschränkt zur Verfügung. Eine solche Abmeldung erfordert zwingend ein persönliches Gespräch mit dem Linienvorgesetzten, welches zum frühestmöglichen Zeitpunkt, jedoch in jedem Fall vor der Reporting Time zu erfolgen hat.»

Art. 25 Abs. 3 des GAV enthält die Angstklausel, welche derzeit offenbar von einer gewisen Anzahl von Cabin Crew Mitgliedern angerufen wird. Diese Angstklausel ist klar formuliert. Notwendige Voraussetzung für die Anrufung durch eine Arbeitnehmerin oder einen Arbeitnehmer ist lediglich, dass es seitens eines Cabin Crew Members psychische Gründe, namentlich Angst, bestehen, einen bestimmten Flug an eine bestimmte Destination durchzuführen. Das Cabin Crew Member muss für die Abmeldung nach der Angstklausel lediglich ein persönliches Gespräch mit dem Vorgesetzten führen und für andere Einsätze bzw. andere Destinationen zur Verfügung stehen.

Angstklauseln in Gesamtarbeitsverträgen und COVID-19

COVID-19 hat vielfältige Auswirkungen auf das schweizerische Arbeitsrecht. Die Anrufung von Angstklauseln in GAVs, wie im Falle des Swiss Kabinenpersonals, ist eine weiter Auswirkung der Coronavirus-Pandemie auf das Arbeitsrecht.

Über kapers

kapers ist die Gewerkschaft des Kabinenpersonals. Sie wurde 1971 gegründet und ist die grösste Interessensvertretung der Kabinenbesatzungsmitglieder von Luftverkehrsunternehmen in der Schweiz. Die Mitglieder der kapers sind im Flugdienst tätig und in erster Linie für die Sicherheit der Passagiere an Bord von Verkehrsflugzeugen zuständig.

Gemäss Art 3 der Statuten hat kapers den folgenden Zweck:

  • Die kapers bezweckt als Gewerkschaft die Vertretung, Förderung und Wahrung der gemeinsamen Interessen aller Mitglieder und deren Unterstützung.
  • Die kapers strebt die Förderung des schweizerischen Luftverkehrs im Allgemeinen, sowie die Zusammenarbeit mit gleichartigen in- und ausländischen Gewerkschaften, Berufsverbänden und Arbeitsorganisationen an.
  • Die „kapers-Panther“-Sektion bezweckt die Wahrung der spezifischen Interessen der pensionierten kapers-Mitglieder.

Mit der Gründung der kapers (1971) schlossen sich die Vereine der SWISSAIR Hostessen (VDSH) und der SWISSAIR Stewards (VDSS, 1957), zu einer starken Gewerkschaft zusammen. Das Ziel blieb über all die Jahre dasselbe: die Interessen aller Flugbegleiter/Innen zu vertreten und für zeitgerechte Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Bereits im Gründungsjahr wurde mit der Swissair für einen ersten Gesamtarbeitsvertrag (GAV) verhandelt. Darauf folgten bis heute zahlreiche Vertragswerke. 1999 schlossen sich die Verbände Crossair Flight Attendant Association (CFAA) und die kapers zusammen.

Die kapers ist sowohl Mitglied der europäischen als auch der internationalen Transportarbeiterförderation ETF (Europäische Transportarbeiterföderation) und ITF (internationale Transportarbeiterföderation). Beide Föderationen bestehen aus verschiedenen Gewerkschaften, die die Interessen von sämtlichen Angestellten im Transportwesen vertreten. Die ETF kümmert sich um europäische Angelegenheiten, während die ITF als übergeordnete Organisation weltweit tätig ist. Innerhalb der Föderationen gibt es verschiedene Sektionen, das Fliegende Personal gehört der Sektion Zivilluftfahrt an. (FILM ITF)

Weiter ist die kapers Mitglied der GCAQE (Global Cabin Air Quality Executive), welche sich intensiv mit dem Thema „kontaminierte Kabinenluft“ in Passagierflugzeugen auseinandersetzt und sich diesbezüglich für Verbesserungen zum Schutz von Crew und Passagieren einsetzt.

Im Konzerntarifrat (KTR) versammeln sich in regelmässigen Abständen alle Gewerkschaften bzw. Betriebsräte des Kabinenpersonals der Lufthansa Group. Dieser Rat dient zurzeit nicht nur dem Informationsaustausch und der Solidaritätsbekundungen, sondern auch der gegenseitigen Unterstützung, sofern dies die nationale Gesetzgebung erlaubt. Durch ihre Mitgliedschaft im KTR erhält die kapers einen „Informationsvorsprung“ und einen besseren Einblick in die strategischen Absichten des Managements der Lufthansa.

Mit den Gewerkschaften „UFO“ – Unabhängige Flugbegleiter Organisation (Deutschland) und „vida“ (Österreich), sowie den Berufsverbänden der Piloten „Vereinigung Cockpit“ (Deutschland) und „AEROPERS“ (Schweiz) hat sich die kapers zu einer Allianz namens „DACH“ (Deutschland, Austria, Schweiz) zusammengeschlossen. Gemeinsam treten diese fünf Gewerkschaften gegen Lohn- und Sozialdumping in der Lufthansa Group an, mit dem Ziel, in Zukunft enger zusammenarbeiten zu wollen. Damit soll ein Gegengewicht zur „globalisierten“ Welt des Managements geschaffen werden.

Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

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