Bundesgericht Urteil 4A_187/2019 vom 9. März 2020 zu Arbeitsunfall: Verletzung der Fürsorgepflicht oder grobes Selbstverschulden?

Das Bundesgericht hat Urteil 4A_187/2019 vom 9. März 2020 einen schweren Arbeitsunfall zu beurteilen. Arbeitsunfälle sind in der Praxis (leider) häufig und werfen immer wieder die Frage auf, ob den Arbeitgeber ein Verschulden daran trifft. Eine Arbeitnehmerin verletzte sich an einer Stanzmaschine. Sie machte gegenüber dem Arbeitgeber Schadenersatz wegen Verletzung der Fürsorgepflicht geltend. Der Arbeitgeber argumentierte, dass es sich um ein Selbstverschulden der Arbeitnehmerin handelte, da Richtlinien nicht befolgt wurden. Das Bundesgericht präzisierte in diesem Urteil auch, dass schriftliche Sicherheitsvorschriften zur Arbeitssicherheit nicht zwingend notwendig seien und mündliche Anweisungen genügen, solange die Arbeitnehmenden  des Unternehmens die Sicherheitsmassnahmen kennen bzw. sich deren Anforderung bewusst sind und der Arbeitgeber mit ausreichender Sorgfalt die Einhaltung der Sicherheits­massnahmen auch überprüft.

Sachverhalt

Die Arbeitnehmerin hat während der Ausführung ihrer Arbeit am 2. Juli 2018 ihre Hand schwer verletzt. Zuerst stach sie sich mehrmals mit der Stanzmaschine in den linken Daumen, woraufhin sie sich einen Verband anlegen liess. Als sie zurück an den Arbeitsplatz kehrte und versuchte, an das zu stanzende Teil hinter der Maschine zu kommen, erlitt sie einen tiefen Schnitt in den rechten Ringfinger. Daraufhin erhob sie Klage auf Schadenersatz und machte geltend, dass der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht verletzt habe. Sie behauptete zudem, dass sie vor dem Unfall einen Defekt an der Maschine gemeldet habe, welcher vom Arbeitgeber nicht repariert wurde. Die erste kantonale Instanz wies die Klage ab. Die Vorinstanz argumentierte, dass die vom Arbeitgeber aufgestellten Richtlinien bezüglich des Umganges mit der Stanzmaschine von der Arbeitnehmerin nicht respektiert worden seien und dass der Arbeitnehmerin ein grobes Selbstverschulden nachgewiesen werden könne. Sie habe leichtfertig gehandelt, obwohl sie sich der Gefahr, spätestens nach dem ersten Vorfall, bei dem sie sich in den linken Daumen stach, bewusst sein musste. Indem sie ihre Hand durch die Maschine steckte, habe sie die Anweisungen des Arbeitgebers ignoriert und somit selbstverschuldet gehandelt.

Die Klägerin zog den Entscheid weiter vor das Bundesgericht. Dieses musste der Frage nachgehen, ob der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht verletzt hat und somit haftbar gemacht werden kann oder ob der Unfall auf das Selbstverschulden der Arbeitnehmerin zurückzuführen sei.

Urteil und Begründung des Bundesgericht

Das Bundesgericht stützte das Urteil des Kantongerichts und griff dessen Argumentation auf. Es befand, dass der Arbeitgeber in casu die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht gemäss Art. 328 Abs. 2 OR, wonach der Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, ausreichende Sicherheitsvorrichtungen zu ergreifen und deren Einhaltung zu überprüfen, um das Risiko eines Unfalls zu vermindern, eingehalten habe und der Unfall auf das Selbstverschulden der Arbeitnehmerin zurückzuführen sei. Der Arbeitgeber habe schliesslich Sicherheitsvorschriften erlassen, die die Arbeitnehmer dazu verpflichteten, bei Gebrauch der Stanzmaschine aufzustehen und die Seitentür der Maschine zu öffnen, um sicher und ohne Verletzungsrisiko an ein zu stanzendes Teil hinter der Maschine zu gelangen. Demnach könne der Unfall nicht auf die Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zurückgeführt werden, sondern sei das Resultat der Missachtung dieser Vorschriften seitens der Arbeitnehmerin gewesen. Der von der Klägerin erwähnte Defekt spiele dabei keine Rolle und wurde vom Bundesgericht nicht als Ursache für den Unfall angesehen. Zudem präzisierte das Bundesgericht, dass schriftliche Sicherheitsvorschriften nicht zwingend notwendig seien und mündliche genügen, solange die Arbeitnehmer des Unternehmens die Sicherheitsmassnahmen kennen bzw. deren Anforderung bewusst sind und der Arbeitgeber mit ausreichender Sorgfalt deren Einhaltung überprüft. Der Arbeitgeber müsse seine Arbeitnehmer aber regelmässig an die Sicherheitsvorschriften erinnern, was in casu der Fall gewesen sei.

(siehe E. 5: L’employée reproche à la cour cantonale d’avoir versé dans l’arbitraire en refusant de tenir pour prouvé le signalement à son chef d’équipe du fait que la cale de compensation dépassait de l’outillage.

Apparemment, elle entend ainsi démontrer que la machine présentait une défectuosité que l’employeuse n’avait pas réparée et qui était la cause de l’accident. Ce moyen ne saurait toutefois prospérer. En effet, la cour cantonale a retenu en fait que, au fur et à mesure de l’exécution des pièces en séries, la cale de compensation s’écrase et a tendance à dépasser de son emplacement, si bien qu’elle peut se trouver à un endroit dangereux. Ce point n’est dès lors plus à démontrer. La recourante ne s’est pas blessée à l’annulaire droit lors du processus classique d’étampage, tel qu’il a été décrit plus haut (supra let. A). La question n’est dès lors pas de savoir si ce dépassement de la cale devait être réparé immédiatement pour que ce processus puisse être mené à bien sans que l’employée ne se blesse. La recourante s’est blessée lors d’un geste destiné à récupérer une pièce tombée derrière l’outillage de la machine à étamper. Pour ce faire, elle a passé la main à travers cette machine. Or, l’employeuse avait émis des prescriptions de sécurité, lesquelles enjoignaient aux employés de se lever de leur place de travail, d’ouvrir la porte latérale de la machine et de sortir la pièce par derrière, afin de parer à tout risque de blessure. Au moyen de ces prescriptions, elle entendait précisément parer le risque d’un contact de la main avec la cale de compensation. Ce n’est donc pas la dangerosité indéniable de la machine qui est la cause du dommage, mais le geste de l’employée qui a enfreint les prescriptions de sécurité.

Il s’ensuit que le grief d’arbitraire dans la constatation des faits peut demeurer indécis, le fait en question n’étant pas déterminant.

La recourante soutient que l’employeuse ne pouvait se borner à édicter des règles de sécurité orales, mais devait les spécifier par écrit. Il ressort des constatations souveraines de la cour cantonale qu’elle connaissait pertinemment ces prescriptions. Dans cette mesure, l’on ne discerne guère pour quelle raison celles-ci auraient dû revêtir la forme écrite, respectivement en quoi cette forme aurait conduit à ce qu’elle les respecte davantage.  

Elle prétend également que l’employeuse tolérait des comportements à risque en „se contentant de rappeler une règle non écrite de sécurité lors de situations avérées“. Certes, en présence d’installations dangereuses sur lesquelles l’employée doit travailler quotidiennement, l’employeuse doit veiller de manière suffisamment diligente au respect, dans l’entreprise, des consignes de sécurité, en s’assurant régulièrement de leur respect et en les rappelant au moins par intervalles, sous peine de méconnaître son obligation de sécurité et d’engager sa responsabilité. Cela étant, tel n’est pas le cas ici, comme l’a constaté la cour cantonale d’une manière qui lie le Tribunal fédéral (cf.  supra consid. 2.2). La recourante ne démontre pas l’arbitraire de ces constatations de fait.  

Finalement, la recourante voit une violation du droit dans le raisonnement tenu par la cour cantonale s’agissant de la rupture du lien de causalité entre une hypothétique violation par l’employeuse de son obligation de diligence et le dommage. Elle fonde son raisonnement sur le caractère prévisible de son comportement à risque, puisque – selon elle – nombre d’employés procédaient de cette manière, et en déduit que son geste n’était pas de nature à rompre le lien de causalité. La recourante fait fausse route en voulant assimiler son comportement fautif à un événement imprévisible et extraordinaire: il s’agit-là de deux facteurs interruptifs de la causalité adéquate lesquels existent indépendamment l’un de l’autre. Au demeurant, la jurisprudence souligne que l’intensité de chacune des causes en présence est déterminante: si la faute du lésé apparaît lourde au point de presque supplanter le fait imputable à la partie recherchée, le lien de causalité adéquate est alors rompu (ATF 130 III 182 consid. 5.4 p. 188; 116 II 519 consid. 4b). Il n’y a dès lors nulle violation du droit dont la recourante serait fondée à se plaindre.))

Gestützt darauf kam das Bundesgericht insgesamt zum Schluss, dass der Arbeitgeber nicht gegen seine Fürsorgepflicht verstossen habe und der Unfall allein auf das grobe Selbstverschulden der Arbeitnehmerin zurückzuführen sei. Der Kausalzusammenhang sei durch das grobe Selbstverschulden durchbrochen worden. Der Arbeitgeber könne demnach nicht haftbar für den Unfall gemacht werden.

Fazit

Das Bundesgericht ist in diesem Urteil auf die weitreichenden Fürsorgepflichten des Arbeitnehmers eingegangen, hat aber gleichzeitig festgehalten, dass ein Unfall, der aus der Missachtung von Sicherheitsvorschriften seitens des Arbeitnehmers resultiert, als grobes Selbstverschulden zu qualifizieren ist. In solchen Fällen könne der Arbeitgeber nicht für den Unfall haftbar gemacht werden.

Das Bundesgericht präzisierte in diesem Urteil auch, was sehr praxisrelevant ist, dass schriftliche Sicherheitsvorschriften zur Arbeitssicherheit nicht zwingend notwendig seien und mündliche Anweisungen genügen, solange die Arbeitnehmenden  des Unternehmens die Sicherheitsmassnahmen kennen bzw. sich deren Anforderung bewusst sind und der Arbeitgeber mit ausreichender Sorgfalt die Einhaltung der Sicherheits­massnahmen auch überprüft. Das bedeutet aber nicht, dass Arbeitgeber nun auf mündliche Sicherheitsvorschriften setzten sollten. Im Gegenteil, es dürfte immer besser sein, Sicherheitsvorschriften schriftlich festzulegen und auch zu dokumentieren, dass alle Arbeitnehmenden diese erhalten haben. Ob dies mit Hilfe von Papier oder auf elektronischem Weg erfolgt, dürfte weniger eine Rolle spielen. Sicherheitsvorschriften in industriellen Betrieben können z.B. zusätzlich auch in der Fabrikhalle aufliegen oder an einer Wand angehängt sein. Das verbessert in einem allfälligen arbeitsrechtlichen Prozess die Stellung des Arbeitgebers.

Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

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