Ferienlohn: Unregelmässige Beschäftigung ist auch bei Vollzeitpensum möglich

Im Urteil 4A_619/2019 vom 15. April 2020 beschäftigte sich das Bundesgericht mit Ferienlohn. Dabei stand die Frage im Zentrum, ob eine unregelmässige Beschäftigung auch bei einem Vollzeitpensum möglich ist, was vom Bundesgericht bejaht wurde.

Sachverhalt

Beschwerdeführer B. (Arbeitnehmer, Beschwerdegegner) arbeitete seit Oktober 2001 bei der A. AG (Arbeitgeberin, Beschwerdeführerin) als Fahrer von Entsorgungsfahrzeugen für Siedlungsabfälle. Am 10. November 2017 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos.

Prozessgeschichte

Nach einer erfolglosen Schlichtungsverhandlung klagte der Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht des Seebezirks. Er beantragte, die Arbeitgeberin habe ihm wegen ungerechtfertigter fristloser Entlassung Schadenersatz und eine Entschädigung zu leisten. Sodann forderte er einen Überzeitzuschlag von Fr. 4’251.45 brutto, Lohn ab dem 16. Oktober 2017, den er im schriftlichen Schlussvortrag auf Fr. 6’061.85 brutto bezifferte, und Ferienlohn von Fr. 31’836.95 brutto.

Mit Entscheid vom 6. Mai 2019 erklärte das Arbeitsgericht die fristlose Kündigung für rechtens und verwarf die damit verbundenen Begehren des Arbeitnehmers. Hingegen verpflichtete es die Arbeitgeberin, dem Arbeitnehmer einen Überzeitzuschlag von Fr. 4’233.45 brutto und Lohn ab dem 16. Oktober 2017 von Fr. 4’510.55 netto zu bezahlen. Die Forderung auf Ferienlohn wies es ab.

Auf Berufung des Arbeitnehmers bestätigte das Kantonsgericht Freiburg am 6. November 2019 die Rechtmässigkeit der fristlosen Kündigung. Dagegen verpflichtete es die Arbeitgeberin in teilweiser Gutheissung der Berufung, dem Arbeitnehmer zusätzlich zum Überzeitzuschlag von Fr. 4’233.45 brutto und Lohn ab dem 16. Oktober 2017 von Fr. 4’510.55 netto auch Ferienlohn von Fr. 31’331.80 brutto zu bezahlen.

Die Arbeitgeberin beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, den Entscheid des Kantonsgerichts aufzuheben, die Berufung abzuweisen und den Entscheid des Arbeitsgerichts zu bestätigen. Zudem sei die Angelegenheit zur Neuverlegung der Kosten des kantonalen Verfahrens an das Obergericht zurückzuweisen.

Mit Präsidialverfügung vom 13. Februar 2020 wurde das Gesuch der Arbeitgeberin um aufschiebende Wirkung im Umfang der gestellten Begehren gutgeheissen.

In der Sache beantragt der Arbeitnehmer, die Beschwerde sei abzuweisen, während das Kantonsgericht auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 4A_619/2019 vom 15. April 2020 

Da es sich um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit handelt, ist die Beschwerde zulässig, wenn der Streitwert mindestens Fr. 15’000.– beträgt (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG). Bei Beschwerden gegen Endentscheide bemisst sich der Streitwert nach den Begehren, die vor der Vorinstanz streitig geblieben waren (Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG). Die Streitwertgrenze wird deutlich überschritten. Auf die Beschwerde ist, unter Vorbehalt einer genügenden Begründung, einzutreten.

Streitpunkt vor Bundesgericht

Vor Bundesgericht ist nur noch umstritten, ob die Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner Ferienlohn von Fr. 31’331.80 brutto zu bezahlen hat (E.3.).

Ferienlohn

Zum Ferienlohn machte das Bundesgericht folgende Ausführungen: «Nach Art. 329d Abs. 1 OR hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Ferien den gesamten darauf entfallenden Lohn zu entrichten. Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung bedeutet diese Bestimmung, dass der Arbeitnehmer während den Ferien lohnmässig nicht schlechter gestellt werden darf, als wenn er in dieser Zeit gearbeitet hätte (BGE 136 III 283 E. 2.3.5 S. 287; 129 III 493 E. 3.1 S. 495; 118 II 136 E. 3b S. 137). Die Bestimmung ist relativ zwingend (Art. 362 Abs. 1 OR). Vereinbarungen, die den Arbeitnehmer schlechter stellen, sind nichtig (Art. 362 Abs. 2 OR). Die absolut zwingende Norm von Art. 329d Abs. 2 OR (Art. 361 OR) bestimmt zudem, dass die Ferien während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden dürfen (vgl. BGE 136 III 94 E. 4.1; 129 III 493 E. 3.1 S. 495).» (E.3.1.).

Ferienlohn bei ungerelmässig beschäftigten Arbeitnehmenden

Da die Durchsetzung des Verbots der Abgeltung mit dem laufenden Lohn bei unregelmässigen Beschäftigungen Schwierigkeiten bereiten kann, hat das Bundesgericht die Abgeltung des Ferienlohns mit dem laufenden Lohn zunächst in Abweichung vom Gesetzestext bei unregelmässiger Beschäftigung ausnahmsweise zugelassen, dies aber an drei Voraussetzungen geknüpft:

  • Erstens muss es sich um eine unre gelmässige Beschäftigung („une activité irrégulière“) handeln.
  • Zweitens muss der für die Ferien bestimmte Lohnanteil klar und ausdrücklich („clairement et expressément“) ausgeschieden sein, sofern ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt.
  • Drittens muss in den einzelnen schriftlichen Lohnabrechnungen der für die Ferien bestimmte Lohnanteil in diesem Sinne ausgewiesen werden. Der blosse Hinweis „Ferienlohn inbegriffen“ genügt damit nicht. Erforderlich ist, dass der Ferienlohn durch Angabe eines bestimmten Betrags oder eines Prozentsatzes als solcher erscheint und zwar sowohl im Arbeitsvertrag als auch auf den einzelnen Lohnabrechnungen (zum Ganzen: BGE 129 III 493 3.2 f. S. 495 f., 664 E. 7.2 S. 672; vgl. auch Urteile 4A_72/2018 vom 6. August 2018 E. 4.4.1; 4A_561/2017 vom 19. März 2018 E. 3.1; je mit weiteren Hinweisen). (E.3.1.).

Feststellungen der Vorinstanz

Die Vorinstanz stellte gemäss dem Bundesgericht fest, die Beschwerdeführerin habe den Ferienlohn des Beschwerdegegners mit dem Monatslohn abgegolten. Habe er Ferien bezogen, sei sein Einkommen massiv gesunken. Seine Arbeit sei im Stundenlohn vergütet worden, wobei die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit 41,9 Stunden betragen habe. Dies ergebe bei 4 bzw. 6 jährlichen Ferienwochen eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 45 bzw. 47 Stunden. Somit habe der Beschwerdegegner in einem Vollzeitpensum gearbeitet. Werde wie im vorliegenden Fall eine Vollzeitarbeit im Stundenlohn ausgeübt, könne gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht von unregelmässiger Arbeit gesprochen werden. Deshalb sei eine Abgeltung des Ferienlohns mit dem laufenden Lohn von vornherein unzulässig. Unter Berücksichtigung der Verjährung habe die Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner von Februar 2013 bis November 2017 den Ferienlohn zu ersetzen. Das entrichtete Feriengeld von 8.33 % bis Dezember 2006, 10.64 % bis Dezember 2016 und 13.04 % ab Januar 2017 sei angemessen und daher für die Berechnung massgebend. Daraus resultiere ein Ferienlohn von Fr. 39’451.30. Verlangt habe der Beschwerdegegner lediglich Fr. 31’331.80 brutto, welcher Betrag ihm zuzusprechen sei. (E.3.2.).

Rüge der Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 329d OR. Die Vorinstanz habe in tatsächlicher Hinsicht gar nicht geprüft, ob eine unregelmässige Beschäftigung vorliege. Vielmehr sei sie davon ausgegangen, dass bei einem Vollzeitpensum die Abgeltung des Ferienanspruchs mit dem laufenden Lohn ohnehin unzulässig sei.  (E.3.2.)

Stellungnahme von Bundesgericht

Im Gegensatz zur ersten Instanz überging gemäss dem Bundesgericht die Vorinstanz das Urteil 4C.90/2003 vom 7. Juli 2003. Dieses fiel knapp zwei Wochen nach dem vielzitierten BGE 129 III 493 und betraf eine Arbeitnehmerin, die ausdrücklich zu 100 % als Nachtwächterin angestellt war, wobei theoretisch vier Nachtwachen pro Woche einem Vollzeitpensum entsprachen. Das Bundesgericht wies darauf hin, man dürfe die praktischen Schwierigkeiten bei der Berechnung des Ferienlohns nicht aus den Augen verlieren. Diese Schwierigkeiten bestünden nicht nur bei unregelmässigen Teilzeitbeschäftigungen, sondern auch bei der zu 100 % angestellten Arbeitnehmerin, die nicht regelmässig vier Nachtwachen übernimmt, sondern gelegentlich fünf oder mehr. Die Einsätze seien alle vier Wochen geplant worden, weshalb die Arbeitgeberin den jeweiligen Monatslohn der Nachtwächterin nur schwer habe voraussehen können. Deshalb habe man von der Arbeitgeberin nicht erwarten dürfen, dass sie das ganze Jahr über den Ferienlohn berechnet oder eine komplizierte jährliche Abrechnung vornimmt (zit. Urteil 4C.90/2003 E. 2.4.2 f.). (E.3.4.).

Wie soeben dargelegt, hielt das Bundesgericht fest, eine unregelmässige Beschäftigung sei auch bei einer Vollzeitanstellung möglich. Dem zit. Urteil 4A_561/2017 ist nichts anderes zu entnehmen. Ohnehin war die Frage für jenen Entscheid nicht wesentlich, da die Abgeltung des Ferienanspruchs mit dem laufenden Lohn dort unzulässig war, weil der für die Ferien bestimmte Lohnanteil im schriftlichen Arbeitsvertrag nicht ausgeschieden war (zit. Urteil 4A_561/2017 E. 3.4).

Die Vorinstanz stellte fest, der Beschwerdegegner habe Vollzeit gearbeitet, und erwog, gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung könne nicht von unregelmässiger Arbeit gesprochen werden, wenn eine Vollzeitarbeit im Stundenlohn ausgeübt werde. Nach dem Gesagten verletzte sie damit Bundesrecht. (E.3.4.).

Die erste Instanz hatte gemäss Bundesgericht 56 Lohnabrechnungen von März 2013 bis Oktober 2017 analysiert. Dabei hatte sie Abwesenheiten des Beschwerdegegners wegen Ferien, Krankheit oder Unfall berücksichtigt und ermittelt, dass die Differenz zum Vormonat in lediglich 21 Lohnabrechnungen weniger als 10 % betragen hatte, bei 25 Lohnabrechnungen mehr als 10 % und bei 10 Lohnabrechnungen mehr als 25 %. Daraus hatte die erste Instanz geschlossen, dass eine unregelmässige Beschäftigung vorlag. Mit dieser Argumentation der ersten Instanz setzte sich die Vorinstanz nicht auseinander, weil sie von der bundesrechtswidrigen Prämisse ausging, eine Vollzeitanstellung sei stets regelmässig. (E.3.5.).

Die Rüge der Beschwerdeführerin ist gemäss dem Bundesgericht begründet. Nicht mehr einzugehen ist bei diesem Ausgang aber gemäss dem Bundesgericht auf die weitere Rüge der Beschwerdeführerin, wonach ein allfälliges Abgeltungsverbot nur für obligatorische Ferien gelten würde. Gleiches gilt für die Einreden der Tilgung und der Verrechnung.  (E3.6.).

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, soweit es darauf eintrat. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

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