Der Lehrvertrag ist ein auf eine bestimmte Laufzeit, nämlich die Dauer der Lehre, abgeschlossener Arbeitsvertrag. Während der Probezeit kann der Lehrvertrag mit einer Frist von 7 Tagen gekündigt werden (Art. 346 Abs. 1 OR). Danach besteht nur noch die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund.
Bestimmung von Art. 346 Abs. 2 OR
Gemäss Art. 346 Abs. OR ist die kann das Lehrverhältnis im Sinne von Art. 337 OR «namentlich» fristlos aufgelöst werden, wenn:
- der für die Bildung verantwortlichen Fachkraft die erforderlichen beruflichen Fähigkeiten oder persönlichen Eigenschaften zur Bildung der lernenden Person fehlen (Art. 346 Abs. 2 lit. a OR);
- die lernende Person nicht über die für die Bildung unentbehrlichen körperlichen oder geistigen Anlagen verfügt oder gesundheitlich oder sittlich gefährdet ist; die lernende Person und gegebenenfalls deren gesetzliche Vertretung sind vorgängig anzuhören (Art. 346 Abs. 2 lit. b OR);
- die Bildung nicht oder nur unter wesentlichveränderten Verhältnissen zu Ende geführt werden kann (Art. 346 Abs. 3 lit. c OR).
Das Gesetz verweist einerseits auf die allgemeine Bestimmung der fristlosen Kündigung von Art. 337 OR, erwähnt andererseits aber auch noch drei für den Lehrvertrag typische Konstellationen. Es ist klar, dass es sich dabei nur um Beispiele und nicht um einen abschliessenden gesetzlichen Katalog handelt.
Fristlose Kündigung vom Lehrvertrag durch Arbeitgeber und Pflicht zur Anhörung
Bei der Kündigung des Lernenden durch den Arbeitgeber besteht eine Besonderheit: Der Lernende ist vor der Aussprache der fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber vorgängig anzuhören (Art. 346 Abs. 2 lit. b OR). Hier geht es um die Gewährung des rechtlichen Gehörs. Ist der Lernende noch nicht mündig, so ist auch der gesetzliche Vertreter mit anzuhören. Die Anhörung stellt nach Art. 11 Abs. 2 OR ein Gültigkeitserfordernis für die Kündigung dar.
Typische Fallgruppen der fristlosen Kündigung des Lehrvertrages durch den Arbeitgeber stellen etwa das Nichtbestehen von Prüfungen in der Berufsschule, krasses Fehlverhalten am Arbeitsplatz sowie die Aussichtslosigkeit des Bestehens der Lehre dar.
Fristlose Kündigung vom Lehrvertrag durch Lernenden
Art. 346 Abs. 2 lit. a OR stipuliert den Grund der fristlosen Auflösung des Lehrvertrages wenn der für die Bildung verantwortlichen Fachkraft die beruflichen oder die persönlichen Eigenschaften fehlen. Zu den fehlenden persönlichen Eigenschaften gehört auch der falsche bzw. ungebührliche Umgang mit dem Lernenden, wie z.B. die Schikane. Hierunter sich auch sexuelle Belästigungen des Lernenden zu subsumieren.
Fristlose Kündigung aus «objektiven Gründen»
Nicht selten ist die fristlose Kündigung des Lehrvertrages durch «objektive Gründe» berechtigt (vgl. Art. 346 Abs. 2 lit. c OR). Auch wenn dies als Grund für eine fristlose Kündigung des Lehrvertrages angesehen wird, handelt es sich dabei eher um eine Vertragsanpassung. Oft werden diese Fälle durch eine Umplatzierung des Lernenden bzw. eine einvernehmliche Aufhebung des Lehrvertrages gelöst.
Folgend der fristlosen Kündigung
Die fristlose Kündigung des Lehrvertrages führt zu dessen sofortiger Beendigung. Unabhängig davon, ob sie gemäss Art. 346 OR i.V.m. Art. 337 OR gerechtfertigt war.
Bei einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber ist zunächst nach Art. 337c Abs. 1 OR Lohnersatz bis zum Ende des Lehrvertrages zu leisten. Weiter muss der Arbeitgeber dem Lernenden auch den Schaden ersetzen, den dieser dadurch erleidet, dass sich seine Lehrzeit verlängert (falls dies der Fall ist). Mögliche weitere Schadenspositionen sind auch Umtriebe der Erziehungsberechtigten. Dazu kommt die Pönale von Art. 337c Abs. 3 OR von bis zu sechs Monatslöhnen. Die Arbeitsgerichte haben dabei gelegentlich die Tendenz bei ungerechtfertigten fristlosen Kündigungen von Lernenden eine höhere Anzahl von Monatslöhnen zuzusprechen als bei «normalen» Arbeitsverträgen, weil eine erhöhte Fürsorgepflicht besteht.
Auflösung des Lehrvertrages in gegenseitigem Einvernehmen
Der Lehrvertrag kann auch, wie alle anderen Arbeitsverträge, im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst werden. In der Praxis sind solche einvernehmlichen Auflösungen, welche oft mit der Platzierung des Lernenden an einer anderen Lehrstelle einhergehen, nicht selten. Insbesondere wenn die Probleme des Lernenden vor allem in der Fehlenden «Chemie» am Arbeitsplatz liegen.
Pflicht zur Auflösung des Lehrvertrages (Urteil Bundesgericht 4C.370/2004 vom 23.12.2004)
Das Bundesgericht erklärte im Jahr 2004 in einem obiter dictum, folgendes: «Art. 346 aOR enthält für den Lehrvertrag eine auf den Ausbildungscharakter zugeschnittene nicht abschliessende Aufzählung von Gründen, bei deren Vorliegen der Vertrag vorzeitig aufgelöst werden kann, namentlich, wenn der Lehrling nicht über die für die Ausbildung notwendigen körperlichen und geistigen Kräfte verfügt, oder die Ausbildung sonst nicht zu Ende geführt werden kann (vgl. Art. 346 Abs. 2 lit. b und c aOR). In der Lehre wird mit Rücksicht auf den Ausbildungscharakter des Lehrvertrages nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht zur Auflösung des Lehrvertrages angenommen, wenn sichere Anzeichen bestehen, dass der Lehrling die Lehrabschlussprüfung nicht bestehen kann (Thomas Dufner: Die vorzeitige Auflösung des Lehrvertrages, Diss. Freiburg, Zürich 1988, S. 160).» (Urteil 4C.370/2004, vom 23. Dezember 2004, E.2.1).
Mithin kann gar von einer Pflicht der Auflösung des Lehrvertrages, vorwiegend durch den Arbeitgeber bzw. Lehrbetrieb, ausgegangen werden, wenn klar ist, das die Lehrziele nicht erreicht werden können.
Schlussfolgerungen
Durch den Lehrvertrag übernimmt der Arbeitgeber bzw. der Lehrbetrieb eine grosse Verantwortung. Auch wenn der Lehrvertrag beidseitig auch fristlos aufgelöst werden kann, so ist die Hürde der fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber, aufgrund der erhöhten Fürsorgepflicht, als höher anzusehen. Der Gesetzgeber hat dies auch in Art. 346 Abs. 2 lit. b OR zu Ausdruck gebracht, wo eine Anhörungspflicht des Lernenden stipuliert wurde. Zu empfehlen ist, dass Probleme in der Lehre einvernehmlich gelöst werden, allenfalls durch eine einvernehmliche Aufhebung des Lehrverhältnisss durch eine Aufhebungsvereinbarung sowie eine Umplatzierung des Lernenden.
Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch
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