Gesetzlicher Mindestlohn

In der Schweiz hat kürzlich der Kanton Basel Stadt einen Mindestlohn festgelegt. Zuvor hatten bereits die Kantone Neuenburg, Tessin, Jura und Genf solche kantonalen Mindestlöhne eingeführt. Das Bundesgericht hat in den Urteilen 2C_774/2014, 2C_813/2014, 2C_815/2014 und 2C_816/2014 vom 21. Juli 2017 die Mindestlohnvorschriften des Kantons Neuenburg geprüft und, unter gewissen Bedingungen, als zulässig erachtet.

Lohnhöhe und Vertragsfreiheit

Der Lohn wird durch die Arbeitgeberin und den Arbeitnehmer vereinbart (Art. 322 Abs. 1 OR). Es gilt dabei die Grundsätze der Vertragsfreiheit und der Privatautonomie. Die Vorschriften von Art. 319 ff. OR sehen keine gesetzlichen Mindestlöhne vor. Falls die Parteien keinen Lohn vereinbart haben, was in der arbeitsrechtlichen Praxis kaum vorkommt, so wäre der «übliche Lohne» geschuldet (Art. 322 Abs. 1 OR).

Mindestlohnvorschriften und GAVs bzw. NAVs

Gesamtarbeitsverträge (GAVs) enthalten teilweise Mindestlohnvorschriften. Diese dürfen nicht unterschritten werden. Eine Überschreitung ist nach dem Günstigkeitsprinzip zulässig.

In Normalarbeitsverträgen (NAVs) sind Löhne für Branchen festgehalten, von denen aber abgewichen werden kann (Art. 322 Abs. 1 OR).

Ablehnung der eidgenössischen Mindestlohn-Initiative

Die eidgenössische Volksinitiative «Für den Schutz fairer Löhne (Mindestlohn-Initiative)» wurde am 18. Mai 2014 abgelehnt. Sie hätten einen minimalen Stundenlohn von CHF 22.– vorgesehen gehabt.

Urteile des Bundesgerichts 2C_774/2014, 2C_813/2014, 2C_815/2014 und 2C_816/2014 vom 21. Juli 2017

Das Bundesgericht wies in den Urteilen 2C_774/2014, 2C_813/2014, 2C_815/2014 und 2C_816/2014 vom 21. Juli 2017 die Beschwerden gegen die gesetzliche Festlegung eines minimalen Stundenlohns von 20 Franken im Kanton Neuenburg ab. Die sozialpolitisch motivierte Massnahme, mit der insbesondere dem Problem von „working poor“ begegnet werden soll, ist mit gemäss dem Bundesgericht mit dem verfassungsmässig garantierten Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit und mit dem Bundesrecht vereinbar. Die vom Neuenburger Grossen Rat beschlossene Regelung trat mit den hier besprochenen Urteilen des Bundesgerichts in Kraft.

Die Stimmbevölkerung des Kantons Neuenburg hatte 2011 der Aufnahme einer neuen Norm in die Kantonsverfassung zugestimmt, welche im Kanton Neuenburg die Festlegung eines Mindestlohns erlaubt. Gemäss der Bestimmung sollte werktätigen Personen ein Einkommen zur Verfügung stehen, das ihnen würdige Lebensbedingungen garantiert. In Umsetzung dieser Verfassungsnorm änderte der Grosse Rat des Kantons Neuenburg im Mai 2014 das kantonale Gesetz über die Beschäftigung und die Arbeits – losenversicherung. Dabei wurde ein minimaler Stundenlohn von 20 Franken festgelegt, der jährlich der Entwicklung des Landesindexes der Konsumentenpreise anzupassen ist. Mehrere Branchenverbände, Betriebe und Privatpersonen erhoben gegen die neuen Bestimmungen zum Minimallohn Beschwerde ans Bundesgericht. Es gewährte diesen aufschiebende Wirkung.

Das Bundesgericht wies die Beschwerden ab, soweit es darauf eintrat. Die Kantone sind unter dem Blickwinkel des Grundsatzes der Wirtschaftsfreiheit (Artikel 94 Absatz 1 der Bundesverfassung) zum Erlass sozialpolitischer Massnahmen befugt. Unzulässig wären wirtschaftspolitisch motivierte Massnahmen, für deren Erlass grundsätzlich die Eidgenossenschaft zuständig ist.

Aus der Neuenburger Regelung zum Minimallohn und den entsprechenden Vorbereitungsarbeiten ergibt sich gemäss dem Bundesgericht, dass die Festlegung eines Mindestlohns der Bekämpfung der Armut, im Speziellen des Phänomens der „working poor“ dient. Arbeitenden Personen soll ermöglicht werden, von einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit leben zu können, ohne auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Der Einführung des Minimallohns lagen damit sozialpolitische Anliegen zu Grunde. Damit der Rahmen der „Sozialpolitik“ nicht verlassen wird und in den Bereich der „Wirtschaftspolitik“ übergeht, muss ein kantonal festgelegter Minimallohn gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zudem auf relativ tiefem Niveau angesetzt werden. Das ist vorliegend der Fall, da bei der Festlegung des Minimallohns vom Mindesteinkommen gemäss den für Ergänzungsleistungen der AHV und der IV geltenden Regeln ausgegangen wurde. Die fraglichen Bestimmungen sind gemäss Bundesgericht auch verhältnismässig. Die gesetzliche Regelung enthält verschiedenen Klauseln, um besonderen Situationen gerecht zu werden. So kann der Staatsrat für bestimmte Wirtschaftsbereiche – insbesondere landwirtschaftliche – einen abweichenden minimalen Stundenlohn festlegen. Die Höhe des minimalen Stundenlohns von 20 Franken liegt sodann innerhalb einer angemessenen, auf objektiven Kriterien beruhenden Spanne. Ausgegangen wurde dabei von einem jährlichen Minimaleinkommen von 41’759 Franken, was bei 41 Arbeitsstunden pro Woche und 52 Arbeitswochen pro Jahr einen Stundenlohn von aufgerundet 20 Franken ergibt. Abzuweisen ist auch der Einwand der Beschwerdeführer, dass das Bundesrecht den Kantonen keinen Platz für die Festlegung von Minimalsalären lasse. Die vom Grossen Rat getroffene Regelung hält sich schliesslich an den von der Kantonsverfassung vorgegebenen Rahmen und ist mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit vereinbar.

Hier sind die Schlüsselausführungen des Bundesgerichts: «Il suit des motifs fournis par la loi cantonale et les travaux préparatoires que l’instauration d’un salaire minimum vise tant à lutter, de manière générale, contre la pauvreté dans le canton de Neuchâtel qu’à enrayer, de façon spécifique, le phénomène des „working poor“, en améliorant les conditions de vie des travailleurs et en leur permettant de vivre de leur emploi sans devoir recourir à l’aide sociale étatique.» (E.5.4.2) «En conclusion, les justifications fournies par les autorités à l’appui de l’introduction du salaire minimum cantonal dénotent, de façon prépondérante, des préoccupations de politique sociale et ne poursuivent pas, quoi qu’en disent les recourants, la finalité d’influencer la libre concurrence. La modification législative sous examen s’avère ainsi conforme au principe constitutionnel de la liberté économique. Il y a donc lieu d’écarter les griefs fondés sur l’art. 94 Cst.» (E.5.5). «En conclusion, la réglementation prévue constitue une mesure de politique sociale qui repose sur une base légale suffisante et poursuit un intérêt public reconnu par le droit constitutionnel. Elle n’apparaît par ailleurs pas disproportionnée et est en conséquence conforme à la liberté économique. Les griefs développés sous l’angle de l’art. 27 Cst. seront partant écartés.» (E.5.7)

Gesetzliche Mindestlöhne in der Schweiz

Mindestlohn im Kanton Basel Stadt

Das Stimmvolk des Kantons Basel-Stadt sprach sich am 13. Juni 2021 für den Gegenvorschlag und damit einen Mindestlohn CHF 21 aus. Die Initiative «Kein Lohn unter 23.–» wurde knapp verworfen. Dank ihr ist Basel nun der erste Deutschschweizer Kanton mit einem staatlichen Mindestlohn.

Bestehende Mindestlöhne in den Kantonen Neuenburg, Tessin, Jura und Genf

In den Kantonen Neuenburg, Tessin, Jura und Genf wurden bereits kantonale Mindestlöhne eingeführt. Im Kanton Neuenburg wurde etwa der Mindestlohn in der Kantonsverfassung verankert. Im Kanton Jura wurde ein Mindestlohn-Gesetz geschaffen.

Anstehende Projekte von Mindestlöhnen

In weiteren Kantonen sowie auch in Städten wie Aargau, Winterthur und Zürich bestehen bereits Initiativprojekte von Mindestlöhnen.

Kommentar

Das Bundesgericht hat in den Urteilen 2C_774/2014, 2C_813/2014, 2C_815/2014 und 2C_816/2014 vom 21. Juli 2017 die grundsätzliche Zulässigkeit von staatlichen Mindestlöhnen in der Schweiz erklärt, einschliesslich der rechtlichen bzw. verfassungsmässigen Grundlagen, denen sie genügen müssen.

Die bisherigen staatlichen Mindestlöhne in der Schweiz betrafen kantonale Regelungen. Es ist aber davon auszugehen, dass auch kommunale Regelungen zulässig sein dürften.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann weitere Abstimmungen zu staatlichen Mindestlöhnen anstehen werden.

Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

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