Für ausländische Sexarbeiterinnen, die als Angestellte in einem Club tätig und in der Schweiz im Meldeverfahren registriert sind, besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (KAE) im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Betreiberin eines Sex-Clubs ab.
Wegen der bundesrätlichen Massnahmen gegen das Coronavirus blieb ein Sex-Club im Kanton Thurgau vom 17. März 2020 bis zum 5. Juni 2020 geschlossen. Die Betreiberfirma des Clubs hatte bereits im April 2020 beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau (AWA) eine Voranmeldung von Kurzarbeit eingereicht; die Anmeldung betraf 30 Beschäftige für die Zeit der Schliessung des Betriebs. Das AWA wies das Gesuch ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau hob diesen Entscheid auf und wies die Sache für neue Abklärungen zurück ans AWA. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des AWA gut und bestätigt dessen Entscheid. Im fraglichen Sex-Club werden die Sexarbeiterinnen für ihren Aufenthalt in der Schweiz im sogenannten Meldeverfahren angemeldet. Diese Möglichkeit besteht für Angehörige von EU/EFTA-Staaten für eine maximal dreimonatige Tätigkeit in der Schweiz. Nach Ablauf der 90 Tage können sie gemäss der Club-Betreiberin für längstens einen Monat noch eine Kurzaufenthaltsbewilligung beantragen. Zwischen der Club-Betreiberin und den Sexarbeiterinnen besteht sodann kein eigentlicher Arbeitsvertrag, da diese selber über Ort, Art und Umfang der sexuellen Dienstleistung entscheiden. Bezüglich des Beschäftigungsverhältnisses ist vielmehr von einer Arbeitsleistung auszugehen, die quasi auf Abruf des Kunden erbracht wird.
Der Bundesrat hat in der Verordnung über Massnahmen im Bereich der Arbeitslosenversicherung im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung) Erleichterungen in Bezug auf die Kurzarbeit eingeführt. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf Abruf setzt der Anspruch auf KAE unter anderem voraus, dass sie seit mindestens 6 Monaten in dem Unternehmen arbeiten, das Kurzarbeit anmeldet. Der massgebende Arbeitsausfall wird sodann auf Basis der letzten 6 oder 12 Monate berechnet. Da die Sexarbeiterinnen insgesamt maximal 4 Monate pro Jahr in der Schweiz bleiben können, sind die Anforderungen der Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung nicht erfüllt.
Hinzu kommt, dass die KAE gemäss der fraglichen Verordnung nicht die Deckung von Umsatzeinbussen des Betriebs bezweckt, sondern den Erhalt von Arbeitsplätzen. Da die Sexarbeiterinnen direkt von den Kunden bezahlt werden und die Club-Betreiberin ihnen keinen Lohn schuldet, käme die KAE somit einzig dem Betrieb zugute, was nicht dem Zweck der bundesrätlichen Massnahme entspricht.
Das Bundesgericht äussert sich im Urteil 8C_17/2021 vom 20. Mai 2021 wie folgt zur Qualifikation des Arbeitsverhältnisses: «Eigentliche, auf bestimmte Dauer abgeschlossene Arbeitsvertragsverhältnisse nach Art. 319 ff. OR liegen hier, nach dem Dargelegten, nicht vor. Auch wenn Art. 4 der Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung keine Mindestdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses für den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung festlegt, ist indessen zumindest fraglich, ob die gegebenen Vertragsverhältnisse von dieser Bestimmung erfasst werden. Dies braucht mit Blick auf Nachstehendes nicht abschliessend beurteilt zu werden.» (E.4.6.1).
Bezüglich des Sinn und Zwecks der KAE erklärte das Bundesgericht im Urteil 8C_17/2021 vom 20. Mai 2021 Folgendes: «Wie sodann in der Botschaft zum Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz) vom 12. August 2020 (BBl 2020 2068 S. 6563 ff.) in Ziff. 2.3.8 ausgeführt wurde, besteht der Sinn und Zweck der Kurzarbeitsentschädigung nicht in der Existenzsicherung des Betriebs bzw. der Deckung von Umsatz- oder Betriebseinbussen, sondern im Erhalt von Arbeitsplätzen durch die Verhinderung von kurzfristig aufgrund des Arbeitsrückgangs ausgesprochenen Kündigungen. Zu bedenken gilt es überdies, dass, nachdem der Beschwerdegegnerin die im geltend gemachten Zeitraum durch die Betriebsschliessung betroffenen Sexarbeiterinnen systembedingt offenbar nicht (hinreichend) bekannt sind, sie diesen keine Geldleistungen ausrichten könnte. Die Kurzarbeitsentschädigung sieht jedoch in Art. 37 AVIG gerade vor, dass die Arbeitgeberin die Kurzarbeitsentschädigung vorzuschiessen und den Arbeitnehmenden am ordentlichen Zahlungstermin auszurichten hat. Kommt hinzu, dass die Beschwerdegegnerin den Sexarbeiterinnen keine Lohnzahlungen schuldet, da diese direkt durch die Kunden bezahlt werden. Hier käme eine Ausrichtung von Kurzarbeitsentschädigung einzig und alleine dem von der Schliessung betroffenen Betrieb zugute, was, wie soeben ausgeführt, nicht der durch die ausserordentliche Ausweitung der Kurzarbeitsentschädigung auf weitere Anspruchsgruppen dargelegten Intention der bundesrätlichen Massnahme entspricht. Das Institut der Kurzarbeitsentschädigung folgt daher eigenen Anspruchs- und Bemessungsvorschriften (vgl. NUSSBAUMER, a.a.O. S. 2401 Rz. 456) und ein solcher Anspruch ist nicht schon aufgrund des Umstands zu bejahen, dass für die Sexarbeiterinnen Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden.» (E.4.6.3).
Das Bundesgericht kommt im Urteil 8C_17/2021 vom 20. Mai 2021 zur folgenden Konklusion: «Diese Sach- und Rechtslage lässt den Schluss nicht zu, dass die gegebenen Beschäftigungsverhältnisse unter die Bestimmung von Art. 4 Abs. 1 oder 8f Abs. 1 Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung fallen. Indem die Vorinstanz einen grundsätzlichen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung bejaht hat, verletzte sie demnach Bundesrecht. Die Beschwerde ist begründet.» (E.4.7).