Offenbarungspflicht von Strafdelikten im Bewerbungsverfahren

Im Urteil A-668/2020 vom 23. November 2020 des Bundesverwaltungsgerichts ging es um einen juristischen Angestellten der EMPA, welcher der Arbeitgeberin beim Vertragsabschluss (Position Legal und Compliance) verschwiegen hatte, dass gegen ihn im Zeitpunkt des Bewerbungsprozesses ein Strafverfahren wegen Veruntreuung lief. Hierzu hat er im Bewerbungsverfahren u.a. eine falsche selbständige Erwerbstätigkeit über die Dauer von 8 Jahren vorgegeben. Die EMPA kündigte dann, nach Scheitern der Verhandlungen über eine Auflösungsvereinbarung, das Arbeitsverhältnis rückwirkend fristlos und stellte fest, dass sie das Arbeitsverhältnis wegen absichtlicher Täuschung als (nachträglich) unverbindlich erachte. Zusammenfassend hielt das Bundesverwaltungsgericht im Urteil A-668/2020 vom 23. November 2020 fest, dass der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin über seine frühere Arbeitsstelle bei einem privaten Unternehmen absichtlich täuschte und die Beschwerdeführerin deshalb rechtmässig die Unverbindlichkeit des Arbeitsvertrages mit dem Beschwerdegegner aufgrund eines Willensmangels geltend machte Auch wenn es im konkreten Fall um öffentliches Personalrecht geht, sind die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts auch für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse nach Art. 319 ff. OR relevant, da sie sich auf das OR stützten, auf welches das BPR verweist.

Sachverhalt

Angestellter A. (Beschwerdegegner) war ab dem 1. Juli 2017 mit einem bis Ende Dezember 2017 befristeten Arbeitsvertrag bei der EMPA (Beschwerdeführerin) als «juristischer Mitarbeiter ohne Einstufung ins Lohnsystem» im Bereich X. angestellt (Beschäftigungsgrad: 50 %). Per 1. September 2017 schlossen der Beschwerdegegner und die Beschwerdeführerin einen neuen, unbefristeten Arbeitsvertrag für eine Anstellung als «juristischer Mitarbeiter / FS 10 (2044)» mit einem Beschäftigungsgrad von 90 % bis Ende Dezember 2017 und danach von 80 % ab.

Am 25. November 2018 erfuhr die Beschwerdeführerin, dass gegen den Beschwerdegegner ein Strafverfahren wegen Veruntreuung läuft.

Am 27. November 2018 stellte sie dem Beschwerdegegner den Entwurf eines Aufhebungsvertrages zu. Die Verhandlungen zwischen der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner bezüglich einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses scheiterten in der Folge jedoch.

Am 29. November 2018 kündigte der Beschwerdegegner (Angestellter) das Arbeitsverhältnis mit der Beschwerdeführerin ordentlich auf den 28. Februar 2019.

Nach der Gewährung des rechtlichen Gehörs kündigte die Beschwerdeführerin (EMPA) mit Verfügung vom 11. Dezember 2018 das Arbeitsverhältnis mit dem Beschwerdegegner fristlos und rückwirkend per 30. November 2018. Zudem stellte sie fest, dass sie das Arbeitsverhältnis mit dem Beschwerdegegner ohnehin infolge Täuschung als (nachträglich) unverbindlich erachte.

Verfahren Vorinstanzen

Die gegen die Verfügung vom 11. Dezember 2018 erhobene Beschwerde des Beschwerdegegners hiess die ETH-Beschwerdekommission (Vorinstanz) mit Urteil vom 19. Dezember 2019 teilweise gut. Sie hob die Verfügung der Beschwerdeführerin betreffend fristloser Kündigung auf und verpflichtete sie, dem Beschwerdegegner bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist Ende Februar 2019 den Lohn zu bezahlen und ihm eine Entschädigung in der Höhe von sechs Monatslöhnen (brutto) ohne Abzug der Sozialversicherungsbeiträge auszurichten. Zudem verpflichtete sie die Beschwerdeführerin dazu, dem Beschwerdegegner nach Eintritt derRechtskraft des Urteils eine Parteientschädigung von Fr. 7’539.– (inkl. MWST) auszuzahlen. Schliesslich wies sie den Bereich Finanzen / Stab ETH-Rat an, dem Beschwerdegegner nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils die «restlichen» Fr. 1’129.80 (inkl. MWST [infolge unentgeltlicher Prozessentschädigung]) auszuzahlen.

Am 3. Februar 2020 erhebt die Beschwerdeführerin (EMPA) beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen das Urteil der Vorinstanz vom 19. Dezember 2019 und beantragt, das Urteil sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die fristlose Entlassung beziehungsweise Aufhebung des Arbeitsvertrages gültig erfolgt sei.

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-668/2020 vom 23. November 2020

Streitig und zu prüfen ist vor dem Bundesverwaltungsgericht vorliegend, ob die fristlose Kündigung respektive die einseitige Unverbindlichkeitserklärung des Arbeitsvertrages durch die Beschwerdeführerin zu Recht erfolgt ist (E.3).

Als Erstes hatte das Bundesverwaltungsgericht zu beurteilen, ob sich die Beschwerdeführerin (EMPA) zu Recht auf einen Willensmangel bezüglich des Arbeitsvertrages mit dem Beschwerdegegner zufolge absichtlicher Täuschung durch diesen beruft.

Ausführungen der Beschwerdeführerin (EMPA)

Die Beschwerdeführerin (EMPA) macht bezüglich des Abschlusses des Arbeitsvertrages vom 1. September 2017 mit dem Beschwerdegegner vor dem Bundesverwaltungsgericht einen Willensmangel geltend. Die EMPA bringt vor, der Beschwerdegegner habe bei seinen kurz aufeinanderfolgenden Bewerbungen verschwiegen, dass er zuvor acht Jahre in einem privaten Unternehmen als X. tätig und zum Zeitpunkt der Bewerbungen in ein strafrechtliches Verfahren wegen mehrfacher Veruntreuung mit einer Deliktssumme von CHF Y. Mio. involviert war. Zudem habe er seine psychische Krankheit verschwiegen. Er sei auch einige Monate in Untersuchungshaft gewesen.

Der Beschwerdegegner habe die Beschwerdeführerin (EMPA) mit bewusst irreführenden und verschleiernden Angaben über seinen Werdegang getäuscht und so diesbezügliche Nachfragen verhindert. Er habe im Rahmen seiner Bewerbung bezüglich des eingereichten Lebenslaufs speziell darauf hingewiesen, dass er aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit von 2006 bis 2016 über keine Referenzen und Arbeitszeugnisse verfüge. Seinen Lebenslauf habe er absichtlich so gestaltet, dass keine Lücken erkennbar gewesen seien, sondern die Beschwerdeführerin von der Annahme habe ausgehen müssen, in der fraglichen Zeit sei die selbständige Erwerbstätigkeit seine Hauptbeschäftigung gewesen sei. Durch die gezielte Unterdrückung seiner achtjährigen Tätigkeit in einem privaten Unternehmenund durch die zu diesem Zweck vorgeschobene berufliche Selbständigkeit habe der Beschwerdegegner die Einholung entsprechender Referenzauskünfte verhindert, was dazu geführt habe, dass die Beschwerdeführerin von seinen jahrelang andauernden Straftaten zulasten seines früheren Arbeitgebers und dessen Kunden nichts erfahren habe. Der Beschwerdegegner habe damit bewusst und gezielt unvollständige Angaben zu seiner bisherigen beruflichen Laufbahn gemacht.

Die strafrechtlichen Verfehlungen des Beschwerdegegners hätten erhebliche Auswirkungen auf die Reputation und Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin (EMPA) und wögen ausserordentlich schwer. Über vertragswesentliche Tatsachen dieser Art bestehe im Rahmen der Vertragsanbahnung gemäss der EMPA eine Auskunfts- und Offenbarungspflicht. Dieser sei der Beschwerdegegner nicht nachgekommen. Im Gegenteil habe er durch die gezielte Unterdrückung von Angaben beziehungsweise durch falsche Angaben im Lebenslauf seine diesbezüglichen Pflichten vorsätzlich verletzt, womit er Rückfragen, Rückschlüsse und Referenzanfragen verunmöglicht habe. Angesichts dieser Umstände sei von einer gezielten Täuschung durch den Beschwerdegegner hinsichtlich wesentlicher Grundlagen beim Vertragsschluss auszugehen, woraus eine (aufgrund des faktischen Arbeitsverhältnisses nachträgliche) Unverbindlichkeit des Vertrages resultiere. (E.3.2).

Ausführungen des Beschwerdegegners (Arbeitnehmer)

Der Beschwerdegegner (Arbeitnehmer) bringt demgegenüber vor, es habe im Bewerbungsverfahren bei der Beschwerdeführerin (EMPA) keine Aufklärungspflicht betreffend seine Krankheit, das gegen ihn laufende Strafverfahren oder seine frühere Anstellung bei einem privaten Unternehmen bestanden. Deshalb liege auch keine widerrechtliche Täuschung vor. Er habe zudem keine falschen Angaben gemacht, sondern lediglich seine frühere Arbeitsstelle nicht angegeben. Wäre eine straflose Vergangenheit für die Beschwerdeführerin wesentlich gewesen, hätte sie diese nach Ansicht des Arbeitnehmers erfragen müssen.

Der Beschwerdegegner führt weiter aus, das Strafverfahren habe sich zum Zeitpunkt der Bewerbung erst im Untersuchungsverfahren befunden, Anklage sei erst im Jahr 2018 erhoben worden. Nur schon aufgrund der Unschuldsvermutung habe er das Strafverfahren nicht offenlegen müssen. Die selbständige berufliche Tätigkeit sei nicht lediglich vorgeschoben gewesen und es hätten sich keine falschen Angaben im Lebenslauf befunden. Es sei bei ihm eine Krankheit diagnostiziert worden und er habe sich im Tatzeitpunkt in einer XX. befunden, weshalb er die Taten in voll schuldunfähigem Zustand begangen habe. Es habe weder im Zeitpunkt des Bewerbungsprozesses noch während der Dauer des Arbeitsverhältnisses mit der Beschwerdeführerin die Gefahr bestanden, dass ihn wieder [Anfälle] überkämen und er infolgedessen wieder deliktisch tätig werden könnte, da er seine Krankheit zu diesem Zeitpunkt dank regelmässigen therapeutischen und medikamentösen Behandlungen unter Kontrolle gehabt habe. Er habe zu keinem Zeitpunkt böswillig seine frühere Anstellung verschleiert, sondern für ihn sei klar gewesen, dass mit der Behandlung seiner Krankheit und der medikamentösen Einstellung keine weitere Gefahr von ihm ausgehe. Hätte er der Beschwerdeführerin von seiner Krankheit erzählt, hätte er die Arbeitsstelle nicht bekommen. Da er nicht habe voraussehen können, wie das Strafverfahren ausgehe, er aber gewusst habe, dass er mit der Therapie keine Gefahr mehr darstelle, sei ihm keine Offenbarungspflicht oblegen. Es sei für ihn nicht absehbar gewesen, dass es zu einer mehrjährigen unbedingten Freiheitsstrafe kommen würde. Er habe zudem bei der Beschwerdeführerin gar keine Funktion gehabt, bei der er ein Vermögensdelikt hätte begehen können, da ihm die Kompetenz und die Zeichnungsberechtigung gefehlt hätten. (E.3.3).

Ausführungen der Vorinstanz (ETH-Beschwerdekommission)

Die Vorinstanz (ETH-Beschwerdekommission) führt aus, der Beschwerdegegner habe aufgrund des Strafprozesses oder der psychischen Erkrankung keine Offenbarungspflicht verletzt, weder in Bezug auf seine Geeignetheit für die Arbeitsstelle noch im Hinblick auf eventuelle Abwesenheiten vom Arbeitsplatz. Deshalb liege kein Willensmangel und insbesondere keine Täuschung vor und der Arbeitsvertrag sei gültig zustande gekommen. (E.4).

Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts

Auf das Arbeitsverhältnis zwischen der EMPA und dem Arbeitnehmer sind primär das BPG sowie die PVO-ETH anwendbar. Zudem gelten gemäss dem Bundesverwaltungsgericht auch die einschlägigen Bestimmungen des Obligationenrechts (OR), vgl. Art. 6 BPG. Dazu führt das Bundesverwaltungsgericht weiter aus: «Sinngemässe Anwendung bedeutet Anwendung der Bestimmungen des OR als öffentliches Personalrecht, soweit nicht verfassungsrechtliche Anforderungen oder gesetzliche Besonderheiten eine von der Zivilrechtspraxis abweichende Regelung gebieten (vgl. PETER HELBLING, Handkommentar zum Bundespersonalgesetz, Art. 6 N 25; vgl. auch BVGE 2015/20 E. 3.4.3). Der Verweis bezieht sich nicht nur auf die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des OR (Art. 319 ff. OR), sondern auf sämtliche Regeln, die sich im Hinblick auf die Besonderheiten des öffentlichen Arbeitsverhältnisses für einen Beizug als ergänzendes öffentliches Recht eignen. Erfasst werden damit insbesondere auch die Bestimmungen über die Willensmängel (Art. 23–31 OR; vgl. BGE 132 II 161 E. 3.1 m.w.H.).» (E.4.1)

Gemäss Art. 23 OR ist ein Vertrag, wie das Bundesverwaltungsgericht ausführt, für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. Ist ein Vertragsabschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des anderen zum Vertragsabschluss verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn gemäss Art. 28 Abs. 1 OR auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war. (E.4.2).

Zur absichtlichen Täuschung im Bewerbungsverfahren

Der Tatbestand einer absichtlichen Täuschung nach Art. 28 Abs. 1 OR erfordert gemäss dem Bundesverwaltungsgericht ein täuschendes und widerrechtliches Verhalten, eine Täuschungsabsicht, ein Irrtum des Getäuschten und eine Kausalität zwischen Täuschung und Willenserklärung (vgl. INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, Basler Kommentar Obligationenrecht I, [BSK OR I], 7. Aufl. 2020, Art. 28 N 3 ff.; Urteil des BVGer A-1893/2020 vom 2. September 2020 E. 6.3). (E.4.3).

Ein täuschendes Verhalten im Sinne von Art. 28 OR ist nach dem Bundesverwaltungsgericht dann anzunehmen, wenn dem Betroffenen widerrechtlich Tatsachen vorgespiegelt oder verschwiegen wurden, ohne die er den Vertrag nicht oder nicht mit dem entsprechenden Vertragsinhalt abgeschlossen hätte. Das Verschweigen von Tatsachen ist dabei (nur) insoweit verpönt, als eine Offenbarungsoder Aufklärungspflicht besteht. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich auf Grund der Umstände im Einzelfall (BGE 132 I 161 E. 4.1 m.w.H.; INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, BSK OR I, Art. 28 N 8 ff.; Urteil des BVGer A-1893/2020 vom 2. September 2020 E. 5.2). (E.4.4).

Weiter führt das Bundesverwaltungsgericht aus: «Den Arbeitnehmer trifft im Rahmen der Vertragsverhandlungen eine vorvertragliche, auf Art. 2 ZGB beruhende Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Der Umfang und die Tragweite dieser vorvertraglichen Pflichten sind in Lehre und Rechtsprechung im Einzelnen umstritten. Grundsätzlich ist bei Vertragsverhandlungen im Hinblick auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag ein erhöhtes Mass an Aufklärungspflichten anzunehmen, da es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt, das regelmässig ein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetzt (BRUNO SCHMIDLIN, BK OR, 2013, Art. 28 N 10 und 47; INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, BSK OR I, Art. 28 N 8 f.). Dem Arbeitnehmer erwachsen im Rahmen von Vertragsverhandlungen insbesondere gewisse vorvertragliche Auskunfts- und Offenbarungspflichten. Lehre und Rechtsprechung unterscheiden im Rahmen von Vertragsverhandlungen im  privatrechtlichen Arbeitsbereich drei Formen von Informationspflichten der Vertragsparteien: eine Offenbarungspflicht, eine Auskunftspflicht und eine Wahrheitspflicht, wobei die Begriffe teilweise unterschiedlich verwendet werden (vgl. BGE 132 II 161 E. 4.2 sowie MANFRED REHBINDER/JEAN-FRITZ STÖCKLI, BK OR, 2010, Art. 320 Rz. 32 ff.; BRUNO SCHMIDLIN, BK OR, 2013, Art. 28 N 47; INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, BSK OR I, Art. 28 N 8 f.; ULLIN STREIFFET AL., Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, Art. 328b N 11 f.; vgl. auch Urteil des BVGer A-1893/2020 vom 2. September 2020 E. 5.2). Die Offenbarungspflicht verpflichtet die Verhandlungspartner, gewisse Informationen von sich aus – das heisst auch ohne spezifische Fragen des Verhandlungspartners – preiszugeben. Eine Offenbarungspflicht ist nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen: Der Arbeitnehmer hat im Rahmen seiner Offenbarungspflicht alles mitzuteilen, was ihn zur Übernahme der Stelle als (absolut) ungeeignet erscheinen lässt, die vertragsgemässe Arbeitsleistung praktisch ausschliesst oder diese doch erheblich vermindert. Die Auskunftspflicht beinhaltet die Pflicht, Fragen der anderen Verhandlungspartei zu beantworten, soweit diese von unmittelbarem und objektivem Interesse für das spezifische Arbeitsverhältnis sind. Die Wahrheitspflicht schliesslich verpflichtet die Verhandlungsparteien dazu, sich bei ihren Aussagen an die Wahrheit zu halten, unabhängig davon, ob sie diese von sich aus oder im Rahmen ihrer Offenbarungs- oder Auskunftspflicht machen. Liegt die Täuschungshandlung in der unterlassenen Aufklärung, ist in der Bejahung der Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzeitig auch die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens erstellt (vgl. INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, BSK OR I, Art. 28 N 12; vgl. auch Urteil des BVGer A-1893/2020 vom 2. September 2020 E. 5.2).» (E.4.5).

Zu prüfen war durch das Bundesverwaltungsgericht mithin, ob der Arbeitnehmer die Arbeitgeberin EMPA im Bewerbungsverfahren bezüglich einer unbefristeten Stelle (Position Legal und Compliance) widerrechtlich täuschte, indem er sie nicht über seine frühere Anstellung, die von ihm begangenen Strafdelikte sowie das gegen ihn laufende Strafverfahren informierte (E.5.1.). Dabei war der massgebliche Sachverhalt vor dem Bundesverwaltungsgericht unbestritten und galt als erstellt. Am 25. November 2018 wurde die Beschwerdeführerin (EMPA) aufgrund von Medienberichten auf den Strafprozess gegen den Beschwerdegegner aufmerksam. In einer telefonischen Kontaktaufnahme durch die Beschwerdeführerin bestätigte der Beschwerdegegner am gleichen Tag, dass er in das Strafverfahren verwickelt sei. Mit erstinstanzlichem Strafurteil wurde Beschwerdegegner zu einer Freiheitsstrafe von wegen mehrfacher Veruntreuung von einer Deliktssumme von über CHF 1 Mio. verurteilt, wobei ihm dabei eine leicht verminderte Schuldfähigkeit aufgrund seiner psychischen Krankheit zugestanden wurde. Das Obergericht des Kantons  bestätigte das erstinstanzliche Urteil im Jahr 2020. Der Beschwerdegegner ist, was den Sachverhalt angeht, grundsätzlich geständig, behauptet aber weiterhin eine vollständige Schuldunfähigkeit. (E.5.2).

Eine Offenbarungspflicht besteht gemäss dem Bundesverwaltungsgericht dann, wenn der Arbeitnehmer die zur Diskussion stehende Arbeitsleistung mangels entsprechender Fähigkeiten überhaupt nicht erbringen kann (fehlende Ausbildung oder Berufspraxis), wenn er zur Arbeitsleistung infolge chronischer Leiden, schwerer oder ansteckender Krankheiten ausserstande ist oder wenn feststeht, dass er bei Dienstantritt aller Voraussicht nach krank oder zur Kur sein wird. Ob und inwieweit bezüglich eines hängigen Strafverfahrens (Ermittlungs-, Untersuchungsund Hauptverfahren) eine Offenbarungspflicht besteht, ist gemäss dem Bundesverwaltugngericht umstritten. Eine solche Offenbarungspflicht wird tendenziell hinsichtlich arbeitsplatzbezogener Delikte und bezüglich solcher Verfahren bejaht, bei denen die konkret absehbare Gefahr einer Arbeitsverhinderung oder doch das erhebliche Risiko einer wesentlichen Verminderung der Arbeitsleistung besteht (BGE 132 II 161 E. 4.2 m.w.H.). (E.5.3.1.). Das Bundesverwaltungsgericht qualifizierte die Delikte des Angestellten als arbeitsplatzbezogen, da er diese zum Nachteil des Arbeitgebers sowie von Kunden begangen hätte, unter dem Vorbehalt der Unschuldsvermutung (E.5.3.1.). Zur Tatsache, dass es bei der EMPA um eine Stelle in Legal und Compliance ging, führte das Bundesverwaltungsgericht aus: «Der Bereich Legal and Compliance, dem der Beschwerdegegner angehörte, hat innerhalb der Institution der Beschwerdeführerin [EMPA] eine besondere Vertrauensposition inne. Diese Position bringt eine besondere Verantwortung mit sich, da sie für die Einhaltung der relevanten rechtlichen Bestimmungen und der organisationsinternen Standards verantwortlich ist. Die Aufgabe des Beschwerdegegners setzte damit ein besonderes Vertrauen in seine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit voraus (vgl. Urteil des BGer 4A.569/2010 vom 14. Februar 2011 E. 2.5, bzgl. einer fristlosen Entlassung). Eine Person, die sich an ihrem früheren Arbeitsort zum Nachteil des Arbeitgebers massiv deliktisch betätigt hat, erscheint für eine Arbeitsstelle, die spezifisch die Aufgabe umfasst, die Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen und der organisationsinternen Standards zu überwachen, als ungeeignet. Die Beschwerdeführerin als Arbeitgeberin konnte unter diesen Umständen nicht vollständig darauf vertrauen, dass der Beschwerdegegner seine Arbeit korrekt ausführen würde, ein Vertrauen, ohne das eine solch verantwortungsvolle Tätigkeit nicht ausgeübt werden kann. Damit hatte die deliktische Tätigkeit des Beschwerdegegners an seinem früheren Arbeitsort unmittelbare Auswirkungen auf die berufliche Eignung für die mit dem neuen Arbeitgeber verabredete Arbeitsleistung (vgl. BGE 132 II 161 E. 4.3.1). Dies scheint auch dem Beschwerdegegner klar gewesen zu sein, führt er doch in einer E-Mail vom 28. November 2018 aus, er hätte wohl den Job nicht bekommen, wenn er gleich am Anfang von seiner Vergangenheit erzählt hätte. Der Beschwerdegegner bringt wiederholt vor, er habe die Straftaten aufgrund seiner psychischen Krankheit in voll schuldunfähigem Zustand begangen. Gleichzeitig macht er jedoch auch geltend, zum Zeitpunkt der Bewerbung bei der Beschwerdeführerin habe er seine psychische Krankheit durch regelmässige therapeutische und medikamentöse Behandlung unter Kontrolle gehabt. Damit kann aber davon ausgegangen werden, dass er sich  als Jurist  zu diesem Zeitpunkt auch der Schwere seiner Straftaten bewusst war. Der von ihm ins Feld geführte Umstand, dass er während der Zeit, in der er für die Beschwerdeführerin tätig war, keine Delikte verübte und seine Arbeit zur allgemeinen Zufriedenheit erledigte, ändert an der Beurteilung nichts, da es sich um nachträgliche Tatsachen handelt. Nur nebenbei sei bemerkt, dass es sich mit knapp 15 Monaten ohnehin nicht um eine hinreichend lange (Bewährungs-)Zeit gehandelt hätte. Insgesamt sprechen die genannten, besonderen Umstände dafür, dass der Beschwerdegegner im Rahmen seiner Offenbarungspflicht verpflichtet gewesen wäre, seine deliktische Tätigkeit bei seinem früheren Arbeitgeber im Rahmen des Bewerbungsverfahrens bekannt zu geben, da sie ihn für die in Frage stehende Stelle objektiv ungeeignet erscheinen liessen.» (E.5.3.1).

Weiter führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass auch wenn man nicht von einer Offenbarungspflicht bzw. einem Verstoss dagegen ausgehen würde, festzustellen sei, dass der Arbeitnehmer zumindest gegen die Aufklärungs- und Wahrheitspflicht verstiess, indem er im Bewerbungsverfahren falsche Angaben zu seiner früheren Arbeitstätigkeit machte (E.5.3.2 a.A.). Gemäss dem Bundesverwaltungsgericht unterliegen Arbeitsstellen auf einem bei der Bewerbung eingereichten Lebenslauf grundsätzlich der Auskunfts- und Wahrheitspflicht. Deshalb durfte die Beschwerdeführerin (EMPA) aufgrund der Verpflichtung des Beschwerdegegners, die Verhandlungen in guten Treuen zu führen, davon ausgehen, dass diese Angaben zumindest insofern vollständig waren, als dass sie keine substantiellen, offensichtlich relevanten Auslassungen enthalten würden. (E.5.2.2)

Das Bundesverwaltungsgericht bejahte das Vorliegen eines widerrechtlichen täuschenden Verhaltens des Angestellten und des Irrtums der EMPA (E.5.3.3).

Die Täuschung durch den Angestellten erfolgte gemäss Bundesverwaltungsgericht vorsätzlich oder mindestens eventualvorsätzlich (E.5.1.). Die EMPA konnte rechtsgenügend darlegen, dass sie den Arbeitsvertrag bei Kenntnis der deliktischen Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht abgeschlossen hätte. Hätte die EMPA von der früheren Anstellung während 8 Jahren gewusst, hätte sie zweifellos nach entsprechenden Arbeitszeugnissen und Referenzen gefragt (E.5.2).

Das Bundesverwaltungsgericht kam zu folgendem Zwischenfazit: «Insgesamt ist damit eine absichtliche Täuschung der Beschwerdeführerin durch den Beschwerdegegner zu bejahen. Die Beschwerdeführerin war entsprechend berechtigt, von der Unverbindlichkeit des Arbeitsvertrages mit dem Beschwerdegegner auszugehen. Die Frage, ob der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin auch über seine Krankheit hätte informieren müssen, kann damit offenbleiben.» (E.5.3).

Folgen der Unverbindlichkeit des öffentlichrechtlichen Arbeits­vertrages

Weiter setzte sich das Bundesverwaltungsgericht mit den rechtlichen Folgen der Unverbindlichkeit des öffentlichrechtlichen Arbeitsvertrages auseinander.

Nach Ausführungen zu Art. 31 OR erklärt das Bundesverwaltungsgericht Folgendes: «Diesbezüglich gilt jedoch eine Ausnahme für das Arbeitsverhältnis, wenn der Tatbestand von Art. 320 Abs. 3 OR erfüllt ist. Demnach haben, wenn der Arbeitnehmer in gutem Glauben Arbeit im Dienste des Arbeitgebers auf Grund eines Arbeitsvertrages leistet, der sich nachträglich als ungültig erweist, beide Parteien die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis in gleicher Weise wie aus gültigem Vertrag zu erfüllen, bis dieses wegen Ungültigkeit des Vertrages vom einen oder andern aufgehoben wird. In diesem Fall wirkt die Erklärung nach Art. 31 Abs. 1 OR entsprechend ex nunc». Bezüglich der Frage, ab wann der Vertrag unverbindlich sei, ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Geltendmachung abzustellen (E.6.2.3).

Der Arbeitsvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner war im vorliegenden Fall ab dem 1. Dezember 2018 unverbindlich im Sinne von Art. 28 Abs. 1 i.V.m. Art. 31 Abs. 1 OR. Auf die Prüfung der Rechtmässigkeit der fristlosen Kündigung durch die Beschwerdeführerin auf den 30. November 2018 konnte durch das Bundesverwaltungsgericht mithin verzichtet werden und es ist keine Entschädigung geschuldet.

Schlussfazit des Bundesverwaltungsgerichts

Zusammenfassend hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin über seine frühere Arbeitsstelle bei einem privaten Unternehmen absichtlich täuschte und die Beschwerdeführerin deshalb rechtmässig die Unverbindlichkeit des Arbeitsvertrages mit dem Beschwerdegegner aufgrund eines Willensmangels geltend machte (E.7.1).

Kommentar zum Urteil A-668/2020 vom 23. November 2020 des Bundesverwaltungsgerichts

Das Urteil A-668/2020 vom 23. November 2020 des Bundesverwaltungsgerichts zeigt erstens auf, wie wichtig die Gerichtspraxis zu öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen auch für die privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse ist. Auch wenn es sich hier um einen Fall der EMPA handelt beziehen sich die entscheidenden Ausführungen auf das Obligationenrecht (OR) und nicht nur auf Art. 319 ff. OR, sondern auch auf den Allgemeinen Teil des OR.

Weiter verdeutlicht der Entscheid, dass es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine gute Idee ist, im Bewerbungsprozess in den relevanten und zulässigen Kernfragen falsche Angaben zu machen, wie etwa bezüglich Strafverfahren bzw. Straftaten. Die Folgen davon können viele Jahre später zuschlagen.

Schliesslich zeigt das Urteil auf, wie ein Arbeitsvertrag ex nunc nach Art. 28 Abs. 1 i.V.m. Art. 31 Abs. 1 OR unverbindlich erklärt werden kann.

Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

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