Positiver Gleitzeitsaldo oder Überstunden

In der Schweiz sind flexible Arbeitsformen weit. Dazu gehört vor allem die Gleitzeitarbeit. Die Gleitzeitarbeit ist nicht frei von Fallstricken, vor allem wenn es um die Abgrenzung von einem positiven Gleitzeitsaldo und von Überstunden geht. Überstunden können zur Entschädigungspflicht des Arbeitgebers führen, wohingegen ein positiver Gleitzeitsaldo im Rahmen dieses Arbeitszeitmodells verfallen kann.

Gleitzeit

Unter Gleitzeit (auch gleitende Arbeitszeit genannt) versteht man Arbeitszeitmodelle, bei welcher die gesamt zu leistende Arbeitszeit im Arbeitsvertrag festgelegt wird (z.B. als 40 Stunden pro Woche, 176 Stunden pro Monat oder 2112 Stunden pro Jahr). Die Lage der Arbeitszeit wird dann von der Arbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer festgelegt. Der Arbeitgeber schreibt teilweise bestimmte fixe Blockzeiten vor, wie z.B. 9:00 bis 11:00 Uhr und 14:00 bis 16:00 Uhr. Die Arbeitszeit wird durch den Arbeitgeber oder allenfalls durch Delegation durch die Arbeitnehmerin bzw. den Arbeitnehmer durch einen sog. Gleitzeitsaldo geführt. Durch die Einführung der Gleitzeitarbeit wird den Arbeitnehmenden eine gewisse Zeitautonomie zugeteilt.

Überstunden

Unter Überstunden bzw. Überstundenarbeit versteht man gemäss Art. 321c OR diejenige Arbeitszeit, welche eine Arbeitnehmerin bzw. ein Arbeitnehmer über die vereinbarte Normalarbeitszeit leistet. Überstunden stehen notwendigerweise in der direkten Verbindung zur Normalarbeitszeit.

Die Leistung von Überstunden muss grundsätzlich durch den Arbeitgeber angeordnet werden bzw. vom Arbeitgeber genehmigt werden bzw. erfolgt aufgrund von betrieblicher Notwendigkeit (Art. 321c Abs. 1 OR).

Abgrenzung positiver Gleitzeitsaldo und Überstunden i.S.v. Art. 321c OR

Wenn am Ende des Arbeitsverhältnisses bzw. am Ende einer Abrechnungsperiode im Rahmen eines Gleitzeitmodells ein positiver Saldo zugunsten der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers bzw. ein Gleitzeitsaldoüberschuss besteht, kann sich das Thema der Abgrenzung von positiver Gleitzeitsaldo zu Überstunden stellen.

Ein positiver Gleitzeitsaldo an sich wird durch den freien Willen des Arbeitnehmenden erarbeitet und kann auch jederzeit abgebaut werden. Dies liegt in der Verantwortung der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers.

Überstunden werden hingegen aufgrund von betrieblicher Notwendigkeit bzw. der Anordnung oder Genehmigung durch den Arbeitgeber geleistet.

Grundsätzlich wird der positive Gleitzeitsaldo nicht als Leistung von Überstunden i.S.v. Art. 321d OR angesehen und verfällt ohne Kompensation bis zum Ende der vereinbarten Gleitzeitperiode vollständig. Denn die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer hätte es im Rahmen der eigenen Zeitsouveränität in der Hand gehabt, den Gleitzeitsaldo auf Null zu bringen.

Es gibt aber Ausnahmen zu diesem Grundsatz: Eine Ausnahme betrifft Fälle, wo der Arbeitnehmende in seiner Zeitsouveränität eingeschränkt war und den Gleitzeitsaldo nicht abbauen konnte, so dass eigentliche Überstunden i.S.v. Art. 321d OR entstanden sind. Dies kann etwa wegen langer Blockzeiten oder wegen Weisungen des Arbeitgebers der Fall sein. Weiter kann im Gleitzeitmodell durch den Arbeitgeber explizit oder implizit Überstundenarbeit i.S.v. Art. 321d OR angeordnet werden. Schliesslich kann auch durch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses es verunmöglicht werden, dass die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer den Gleitzeitsaldo abbauen kann. Dies gilt namentlich bei (eher seltenen) fristlosen Kündigungen. Aber auch Arbeitsverträge mit kurzen Kündigungsfristen, z.B. von einem Monat, oder Kündigungen in der Probezeit können zu solchen Konstellationen führen, wo aus einem positiven Gleitzeitsaldo arbeitsrechtlich Überstunden entstehen können.

Beweislast für Überstunden

Die Beweislast, dass ein positiver Gleitzeitsaldo als Leistung von Überstunden i.S.v. Art. 321d OR zu qualifizieren ist, liegt grundsätzlich bei der Arbeitnehmerin bzw. beim Arbeitnehmer. Im Einzelfall können hier Beweisschwierigkeiten auftreten.

Zum Homeoffice

Im Homeoffice gelten grundsätzlich die normalen Regeln über die Arbeitszeit. Faktisch steigert das Homeoffice die Zeitautonomie von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerinnen weiter, da die Zeiteinteilung noch mehr im eigenen Ermessen liegt, das Präsenzzeiten im Büro wegfallen oder substantiell reduziert werden. Der Arbeitgeber kann aber auch im Homeoffice fixe Arbeitszeiten bzw. Gleitzeitmodelle mit Blockzeiten anordnen. Die Fragen und Abgrenzungsprobleme bleiben dieselben.

Praxistipps zur Vermeidung von Unklarheiten beim Gleitzeitsaldo

Aufgrund der praktischen Probleme und Diskussionen, welche ein positiver Gleitzeitsaldo nach sich ziehen kann, empfiehlt es sich, klare Regelungen im Arbeitsvertrag oder in den entsprechenden Reglementen des Arbeitgebers zu schaffen. So kann bspw. vereinbart werden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die über den Gleitzeitsaldo geleistete Arbeit innerhalb einer bestimmten Zeitperiode als Überstundenarbeit anzeigen und begründen müssen, da ansonsten die automatische Anrechnung auf den Gleitzeitsaldo erfolgt.

Weiter können Arbeitgeber auch im Gleitzeitmodell die Leistung von betrieblich notwendigen Überstunden und deren Kompensation ausdrücklich anordnen und so Klarheit schaffen.

Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

Andere Artikel (Auswahl):

Kommentare (0)

Wir verwenden Cookies, um unsere Website und Ihr Navigationserlebnis zu verbessern. Wenn Sie Ihren Besuch auf der Website fortsetzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zum Datenschutz finden Sie hier.

Akzeptieren ×