Recht auf Abschalten

Im Nationalrat ist immer noch die spannende Motion 19.4156 von Mathias Reynard hängig. Diese fordert die gesetzliche Verankerung des Rechts von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern digitale Medien ausserhalb der wöchentlichen Arbeitszeit abzuschalten. Diese Motion, welche vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen wird und noch im Nationalrat hängig ist befasst sich mit dem Schutz von Arbeitnehmenden vor digitalem Stress. Einem gerade in Zeiten des Homeoffice sehr aktuellen Thema.

Die Motion 19.4156 hat den folgenden Wortlaut: «Der Bundesrat wird beauftragt, das Obligationenrecht dahingehend anzupassen, dass der Arbeitgeber die nötigen Massnahmen treffen muss, um die Verwendung der digitalen Medien durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausserhalb der wöchentlichen Arbeitszeit zu beschränken.»

Begründung der Motion 19.4156 durch Mathias Reynard

Nationalrat Mathias Reynard begründet seine Motion im Nationalrat wie folgt: «Eine 2015 in Frankreich durchgeführte Studie hat gezeigt, dass 71 Prozent der Führungskräfte ihre E-Mails ausserhalb der Arbeitszeit lesen und dass 76 Prozent von ihnen der Ansicht sind, die digitalen Medien hätten einen negativen Effekt auf ihr Privatleben. Die Erfahrungen aus verschiedenen Unternehmen zeigen immer deutlicher, dass die Produktivität steigt, wenn die Angestellten zwischendurch abschalten können. Deutsche Grosskonzerne haben das verstanden: VW beispielsweise führte 2011 ein System ein, das die E-Mails gewisser Angestellter zwischen 18.15 Uhr und 7.00 Uhr blockiert. Andere Unternehmen wie Canon Frankreich, Orange, Viacom, Michelin, Intel oder Mercedes haben ähnliche Massnahmen getroffen. Kürzlich hat die französische Rechtsprechung das Recht auf Abschalten der Kommunikationsgeräte, das im französischen Arbeitsgesetz verankert ist, in einem konkreten Fall anerkannt und einem Angestellten eine Entschädigung zugesprochen, weil er rund um die Uhr erreichbar sein musste. Belgien hat ebenfalls gesetzliche Regelungen erlassen. In seiner Antwort auf die Motion Mazzone 17.3201 hat der Bundesrat im Wesentlichen ausgesagt, es sei nicht sinnvoll, gesetzgeberisch tätig zu werden. Tatsächlich ist die Arbeitszeit im Arbeitsgesetz (ArG) geregelt, und Artikel 13 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz legt fest, dass als Arbeitszeit die Zeit gilt, während der sich der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zur Verfügung des Arbeitgebers zu halten hat. Doch für viele Kategorien von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Unternehmen ist das ArG gar nicht anwendbar (vgl. Art. 2 und 3 ArG). Hinzu kommt, dass der Schutz der dem ArG unterstehenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht optimal ist, insbesondere nicht der Schutz derjenigen, die unter sehr prekären Bedingungen arbeiten. Denn alle Angestellten sind einem gewissen Druck ausgesetzt, für ihre Arbeitgeber rund um die Uhr verfügbar zu sein, sei dies aufgrund expliziter Weisungen des Arbeitgebers, aufgrund eines stark leistungsorientierten Beurteilungssystems oder aufgrund der faktischen Gegebenheiten, wenn beispielsweise starkes Konkurrenzdenken unter den Arbeitskolleginnen und -kollegen herrscht. Es besteht somit zurzeit eine Lücke im Schweizer Recht. Eine Regelung, in der für alle Angestellten, ungeachtet ihrer Funktion, ein Recht auf Abschalten verankert wird, ist daher unumgänglich.»

Antrag auf Ablehnung des Bundesrates

Der Bundesrat beantragte am 20. November 2019 die Ablehnung der Motion 19.4156 von Mathias Reynard. Und dies mit der folgenden Begründung: «Der Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme zur Motion Mazzone 17.3201, „Abschalten ausserhalb der Arbeitszeit. Den rechtlichen Rahmen für die technologischen Veränderungen am Arbeitsplatz festlegen“, zum rechtlichen Rahmen in Bezug auf die Frage des Rechts auf Abschalten der Kommunikationsgeräte geäussert: Das Recht auf Abschalten leitet sich aus den Bestimmungen zur Arbeitszeit und zur Freizeit ab. Während der Arbeitszeit haben sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Verfügung des Arbeitgebers zu halten und müssen gegebenenfalls erreichbar sein. Ausserhalb der Arbeitszeit sind sie dagegen rechtlich nicht dazu verpflichtet, per E-Mail oder Telefon auf berufliche Anfragen zu reagieren. Das Recht auf Abschalten der Kommunikationsgeräte ergibt sich folglich bereits aus dem geltenden Recht zur Arbeitszeit und muss nicht mit besonderen Gesetzesbestimmungen geregelt werden. Es ist auch in den Unternehmen gemäss ihrer Organisation und den spezifischen Anforderungen des Berufs und der Funktion der betroffenen Arbeitnehmenden umzusetzen. Auch die Gesetzgebung in Frankreich und in Belgien umfasst kein Recht auf Abschalten der Kommunikationsgeräte; dagegen besteht eine Pflicht, über diesen Punkt auf Stufe des Unternehmens zu verhandeln (Art. L 2242-17 Ziff. 7 des Arbeitsgesetzes [Code du travail]; Art. 16 des Gesetzes zur Erhöhung des Wirtschaftswachstums und des sozialen Zusammenhalts [Loi du 26 mars 2018 relative au renforcement de la croissance économique et de la cohésion sociale]). Auch das französische Kassationsgericht hat kein solches Recht eingeführt. Gemäss dem Gericht gilt die Zeit, in der man erreichbar sein muss, aber als Arbeitszeit und muss als Bereitschaftsdienst („temps d’astreinte“) entlöhnt werden; dieser entspricht im Schweizer Recht dem Pikettdienst oder dem Bereitschaftsdienst bei Arbeit auf Abruf.»

Kommentar zur Motion

Bei der Motion Motion 19.4156 durch Mathias Reynard geht es um den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor digitalem Stress, einem sehr aktuellen Thema. Gerade der Trend des Homeoffice, welcher weiter bestehen bleiben wird, wirft Fragen zur Abgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit auf, wenn der Arbeitsort mit dem Wohnort verschmilzt. Die zentrale Frage dabei ist, ob es zusätzlicher gesetzlicher Regelungen bedarf oder ob die bestehenden Normen im Arbeitsrecht, u.a. Art. 328 OR und diverse Bestimmungen des Arbeitsgesetzes sowie von Verordnungen zum Arbeitsgesetz nicht ausreichen.

Von: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

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