Urteil Bundesgericht 8C_94/2020 vom 9. Juli 2020: Gültigkeit von Aufhebungsvereinbarung (Aufhebungsvertrag) und Folgen bei Arbeitslosenentschädigung

Im Urteil 8C_94/2020 vom 9. Juli 2020 befasste sich das Bundesgericht, namentlich die I. sozialrechtliche Abteilung, zwar mit einem Verfahren zwischen einer Arbeitslosenkasse und einem Arbeitnehmer. Im Kern der Sache geht es aber um die Gültigkeit der von den Parteien abgeschlossenen Aufhebungsvereinbarung (Aufhebungsvertrag) und um verschiedene arbeitsrechtliche Normen aus dem Obligationenrecht, wie u.a. Art. 341 OR oder Art. 336c Abs. 1 lit. b OR. Zur Aufhebungsvereinbarung betonte das Bundesgericht, dass im Sinne einer Faustregel der Arbeitnehmer nicht schlechter gestellt werden sein darf, als er dies im Falle der Arbeitgeberkündigung gewesen wäre.

Sachverhalt

Der 1955 geborene A. Beschwerdeführer war seit dem 1. November 2008 bei der X. SA tätig. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 18. Dezember 2017 per 30. Juni 2018 aus wirtschaftlichen Gründen. Gleichentags unterzeichneten die Arbeitgeberin und der Arbeitnehmer eine Aufhebungsvereinbarung. Am 4. Juni 2018 beantragte Letzterer bei der Öffentlichen Arbeitslosenkasse Baselland (nachfolgend: Arbeitslosenkasse) die Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung ab 1. Juli 2018. Mit Verfügung vom 24. Juli 2018 verneinte die Arbeitslosenkasse mangels eines anrechenbaren Arbeitsausfalls einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung für die Monate Juli und August 2018. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 25. März 2019 fest. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 18. Dezember 2019 gut, hob den Einspracheentscheid vom 25. März 2019 auf und stellte fest, dass der Arbeitnehmer in den Monaten Juli und August 2018 einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten habe.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) führte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse vom 25. März 2019 zu bestätigen.

Die Arbeitslosenkasse lässt auf Gutheissung der Beschwerde schliessen. Der Arbeitnehmer verzichtet auf die Stellungnahme.

Aspekte des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung

Das Bundesgericht äusserte sich wie folgt zum allgemeinen rechtlichen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung: «Der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung setzt u.a. voraus, dass die versicherte Person ganz oder teilweise arbeitslos ist (Art. 8 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 10 AVIG [SR 837.0]) und einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten hat (Art. 8 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 11 AVIG). Der Arbeitsausfall ist gemäss Art. 11 Abs. 1 AVIG anrechenbar, wenn er einen Verdienstausfall zur Folge hat und mindestens zwei aufeinanderfolgende volle Arbeitstage dauert. Ein Arbeitsausfall, für den dem Arbeitslosen Lohnansprüche oder Entschädigungsansprüche wegen vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses zustehen, ist nicht anrechenbar (Art. 11 Abs. 3 AVIG). 

Der Arbeitsausfall ist überdies so lange nicht anrechenbar, als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers den durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Verdienstausfall decken (Art. 11a Abs. 1 AVIG) und den Höchstbetrag gemäss Art. 3 Abs. 2 AVIG übersteigen (Art. 11a Abs. 2 AVIG). Als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers bei der Auflösung des privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisses gelten sämtliche Leistungen, die nicht Lohn- oder Entschädigungsansprüche nach Art. 11 Abs. 3 AVIG darstellen (Art. 10a AVIV [SR 837.02]). 

Bei vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses im gegenseitigen Einvernehmen führen sodann gemäss Art. 10h Abs. 1 AVIV über das tatsächliche und rechtliche Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus erbrachte Leistungen des Arbeitgebers ebenfalls zumindest so lange zu einem Ausschluss der Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalls, wie dieses Entgelt den Einkommensverlust bis zum ursprünglich frühestmöglichen gesetzlichen oder vertraglichen Vertragsende entschädigt. Übersteigen die Leistungen des Arbeitgebers den Betrag des der versicherten Person bis zur ordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschuldeten Lohnes, so sind die Bestimmungen über die freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers nach Art. 11a AVIG anwendbar (Art. 10h Abs. 2 AVIV; BGE 141 V 426 E. 3 S. 428 f.).» (E.4.).

Der Sachverhalt war wie folgt von der Vorinstanz rechtsverbindlich festgestellt worden: «Der Versicherte habe ab 1. November 2008 bei der B. SA gearbeitet. Dem Arbeitsvertrag vom 31. Oktober 2008 sei zu entnehmen, dass die Kündigungsfrist sechs Monate dauere. Das Arbeitsverhältnis sei am 18. Dezember 2017 aus wirtschaftlichen Gründen unter Einhaltung der sechsmonatigen Kündigungsfrist durch die Arbeitgeberin per 30. Juni 2018 gekündigt worden. Dem Kündigungsschreiben sei u.a. zu entnehmen, dass dem Versicherten per Ende 2018 (recte: 2017) eine freiwillige Abfindung von Fr. 30’558.- bezahlt werde. Sofern er die Kündigung anfechte und ihm eine gerichtliche Abfindung zugesprochen werde, gelte der ihm im Urteil zugesprochene Betrag mit dieser freiwilligen Zahlung in dieser Höhe als abgegolten. Die Kündigung sei gleichentags durch eine Aufhebungsvereinbarung ersetzt worden. Demnach erhalte der Versicherte per Ende Dezember 2017 eine Abfindung von Fr. 30’558.-, um sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer Krankentaggeldversicherung anschliessen und sich in seine Pensionskasse einkaufen zu können. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Ende Juni 2018 erhalte er eine weitere Abfindung unter der Bedingung, dass keine Anfechtung der Aufhebungsvereinbarung erfolgt sei und er sich gegenüber der Arbeitgeberin wohlverhalten habe. Dieser Betrag sei u.a. für den Abschluss einer Krankentaggeldversicherung gedacht. Die Höhe der Abfindung bewege sich zwischen Fr. 23’560.- und Fr. 30’558.-. Gemäss den Angaben in den Lohnblättern hätten sich die dem Versicherten Ende Dezember 2017 und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausbezahlten Beträge auf je Fr. 30’558.- belaufen. Den Akten sei weiter zu entnehmen, dass der Versicherte am 28. Januar 2018 einen Betrag in der Höhe von Fr. 20’000.- an die Pensionskasse C. überwiesen habe. Gemäss seinen eigenen Angaben sei er vom 11. April bis 8. Juni 2018, gemäss Krankenschein der Versicherung D. vom 12. April bis 10. Juni 2018, infolge Krankheit an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert gewesen. Das Arbeitsverhältnis habe am 30. Juni 2018 geendet.  (E.5.1.).

In der Folge stellte die Vorinstanz fest (E. 5.2.1), dass vom ausbezahlten Betrag von Fr. 61’116.- der Versicherte Fr. 20’000.- an die Pensionskasse einbezahlt habe. Es sei davon auszugehen, dass der Versicherte über den verbliebenen Betrag von Fr. 41’116.- entgegen den Ausführungen in der Vereinbarung vom 18. Dezember 2017 frei habe verfügen können, weshalb es sich um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers handle. Denn ihm sei der zweite Betrag von Fr. 30’558.- ausbezahlt worden, obwohl er entgegen der Vereinbarung kein Angebot einer Krankentaggeldversicherung eingereicht und die Arbeitgeberin dennoch den maximalen Betrag ausbezahlt habe.» (E.5.1.).

Weiter stellte die Vorinstanz fest (E. 5.2.2), dass «der Versicherte zum Abschluss der Aufhebungsvereinbarung gezwungen gewesen sei. Denn der Versicherte gebe in seiner Anmeldung zum Leistungsbezug vom 4. Juni 2018 und die Arbeitgeberin in der Arbeitgeberbescheinigung vom 9. Juli 2018 an, dass der Arbeitsvertrag von der Arbeitgeberin am 18. Dezember 2017 per 30. Juni 2018 gekündigt worden sei. Auch seien den Akten keine Hinweise zu entnehmen, wonach der Versicherte zweieinhalb Jahre vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters von sich aus gekündigt oder Anlass zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben hätte. In der Folge schloss sie darauf (E. 5.3), dass keine vorzeitige Auflösung in gegenseitigem Einvernehmen vorliege und Art. 11 Abs. 3 AVIG sowie Art. 10h Abs. 1 AVIV nicht zur Anwendung gelangten. Weiter hielt sie eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bis Ende August 2018 gestützt auf Art. 336c Abs. 2 OR sowie einen fehlenden Verzicht auf Lohnanspruch i.S.v. Art. 11 Abs. 3 AVIG fest und bestätigte einen anrechenbaren Arbeitsausfall für die Monate Juli und August 2018.» (E.5.1).

Der Standpunkt des SECO war ein gänzlich anderer: «Das SECO macht im Wesentlichen geltend, vorliegend hätten die Arbeitgeberin und der Versicherte einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen. In Anbetracht der freiwilligen Leistungen von insgesamt Fr. 61’116.-, die im Rahmen der Aufhebungsvereinbarung von der Arbeitgeberin erbracht worden seien, könne der Aufhebungsvertrag und der damit einhergehende Verzicht auf die Kündigungsschutzregeln nach OR als zulässig betrachtet werden. Bei einer Kündigung durch die Arbeitgeberin, wie dies zuerst der Fall gewesen sei, wäre die Kündigungsfrist aufgrund von Art. 336c OR während der Krankheit des Versicherten unterbrochen worden und das Arbeitsverhältnis hätte bis Ende August 2018 gedauert. Der Versicherte habe als Gegenleistung für den Verzicht auf die Sperrfrist nach Art. 336c Abs. 1 lit. b OR eine Abfindung in der Höhe von insgesamt Fr. 61’116.- erhalten. Die Abfindung führe, soweit sie als Gegenleistung für den Verzicht auf den Kündigungsschutz anzusehen sei, zu einer Anwendung von Art. 11 Abs. 3 AVIG. Der Versicherte erleide in diesem Rahmen keinen anrechenbaren Arbeitsausfall. Der Teil der Abfindung, welcher darüber hinausgehe, könne als freiwillige Leistung gemäss Art. 11a AVIG betrachtet werden.» (E.5.2.)

Ausführungen des Bundesgerichts zur Aufhebungsvereinbarung (Aufhebungsvertrag)

Die Vorinstanz ging von einer durch den Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung aus. Sie erachtete die von den Parteien geschlossene Aufhebungsvereinbarung als unbeachtlich, mit der Begründung, der Arbeitnehmer sei dazu gezwungen geworden. Das Bundesgericht hatte deshalb vorweg zu prüfen, ob die Aufhebungsvereinbarung rechtsgültig zustande gekommen ist (E.6.1.).

Das Bundesgericht nahm wie folgt Stellung zur Aufhebungsvereinbarung und zu Art. 341 OR: «Nach Art. 341 Abs. 1 OR kann der Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten. Diese Bestimmung will den sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befindlichen, sozial schwächeren Arbeitnehmer davor schützen, dass er während oder kurz nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses aus Furcht vor nachteiligen Folgen Verzichtserklärungen abgibt. Das Verzichtsverbot nach Art. 341 OR erfasst Ansprüche aus zwingendem Recht (Urteil 4A_25/2014 vom 7. April 2014 E. 6.1 mit Hinweisen). Die relative Unverzichtbarkeit dieser Vorschriften verbietet jedoch nicht, das Arbeitsverhältnis jederzeit durch den Abschluss eines auf übereinstimmenden und mängelfreien Willenserklärungen beruhenden Aufhebungsvertrags aufzulösen, sofern eine solche Vereinbarung nicht zu einer klaren Umgehung des zwingenden Kündigungsschutzes führt. Mit anderen Worten müssen beide Parteien auf Rechte verzichten, so dass es sich um einen echten Vergleich mit gegenseitigem Nachgeben handelt, der nicht nur dem Arbeitgeber Vorteile bringt (BGE 119 II 449 E. 2a S. 449 f.; 118 II 58 E. 2a S. 60; 115 V 437 E. 4b S. 443; Urteile 4A_673/2016 vom 3. Juli 2017 E. 4.1 und 4A_563/2011 vom 19. Januar 2012 E. 4.1, je mit Hinweisen). Der Unterschied zwischen einem verbotenen (einseitigen) Verzicht und einem zulässigen Vergleichsverzicht besteht darin, dass beim Vergleich beide Parteien auf Ansprüche von ungefähr gleichem Wert verzichten und so zu einer angemessenen Lösung gelangen. Dabei kann es sich auch um Ansprüche handeln, die im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses unsicher sind. Erforderlich ist, dass der Vergleich unter den konkreten tatsächlichen und rechtlichen Umständen zur Zeit seines Abschlusses als angebracht erscheint (Urteil 4A_25/2014 vom 7. April 2014 E. 6.2).» (E.6.2.).

Das Bundesgericht fuhr fort: «Unvorhersehbare Umstände, die keiner Partei zugerechnet werden können und nach dem Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages, aber noch während der ohne den Abschluss des Aufhebungsvertrages massgebenden Kündigungsfrist auftreten, sind für die Frage der Zulässigkeit bzw. Rechtfertigung des Aufhebungsvertrages auch rückwirkend in die Beurteilung der legitimen Interessenlage miteinzubeziehen (Urteile 4A_376/2010 vom 30. September 2010 E. 3 und 4C.27/2002 vom 19. April 2002 E. 3c; GREMPER/HALBEISEN, Aufhebungsvertrag in: Fachhandbuch Arbeitsrecht, 2018, Rz. 10.28; CHRISTOPH ZOBL, Der arbeitsvertragliche Aufhebungsvertrag, 2017, Rz. 320 f., 379 und 389). Im Sinne einer Faustregel darf der Arbeitnehmer nicht schlechter gestellt sein, als er dies im Falle der Arbeitgeberkündigung gewesen wäre. Dem Arbeitnehmer sind als Ausgleich dieser Nachteile entsprechende Vorteile zu gewähren, damit das Erfordernis der Reziprozität der Konzessionen erfüllt ist. Lohnansprüche, die dem Arbeitnehmer aufgrund der Sperrfrist und der damit verlängerten Vertragslaufzeit zustehen würden, sind daher vom Arbeitgeber abzugelten (Urteile 4A_376/2010 vom 30. September 2010 E. 3 und 4C.27/2002 vom 19. April 2002 E. 3c; ZOBL, a.a.O., Rz. 376 und 380).» (E.6.3.).

Das Bundesgericht stellte in der Folge fest, dass entgegen den vorinstanzlichen Ausführungen der Aufhebungsvertrag zwischen den Parteien gültig zustande gekommen war. So war der Arbeitnehmer nicht gezwungen, die Aufhebungsvereinbarung zu unterzeichnen. «Denn mit dieser und der damit verbundenen Zahlung von Fr. 61’116.- wurde er wesentlich bessergestellt, als wenn die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit ordentlicher Kündigung aufgelöst hätte, selbst wenn sie aufgrund der Arbeitsunfähigkeit noch zwei Monate länger den Lohn (mithin Fr. 22’750.-) auszurichten gehabt hätte. Auch war sie weder von Gesetzes wegen noch gemäss Arbeitsvertrag vom 31. Oktober 2008 zur Leistung eines Betrags zum Einkauf in die Pensionskasse oder zum Abschluss einer Krankentaggeldversicherung verpflichtet. Der Versicherte hat denn auch erstmals in seiner Ergänzungsschrift zur Beschwerde vor Vorinstanz – und damit nach Auszahlung der insgesamt Fr. 61’116.- – behauptet, dass er zur Unterzeichnung des Vertrages gezwungen gewesen sei. Er legt jedoch nicht dar, inwiefern er zum Abschluss der Vereinbarung, von der er in beachtlichem Ausmass finanziell profitierte, gezwungen gewesen sein soll, und machte vor diesem Zeitpunkt nie einen Willensmangel geltend. Zudem hatte er sich in seiner Einsprache noch auf die Aufhebungsvereinbarung bezogen. Zwar fällt auf, dass die Parteien am Tag des Kündigungsschreibens die Aufhebungsvereinbarung abschlossen. Es ist indessen nicht ersichtlich, dass damit eine Gesetzesumgehung bezweckt worden sein soll. Insbesondere ergibt sich aus dem vorinstanzlichen Sachverhalt nicht, dass der Versicherte bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung krank war oder die später aufgetretene Arbeitsunfähigkeit voraussehbar gewesen wäre. Unerheblich ist weiter, dass der Versicherte im Antrag auf Arbeitslosenentschädigung vom 4. Juni 2018 und die Arbeitgeberin in der Arbeitgeberbescheinigung vom 9. Juli 2018 angaben, das Arbeitsverhältnis sei durch die Arbeitgeberin aufgelöst worden, und dass die Parteien übereinstimmend nur eine Entschädigung von Fr. 30’558.- erwähnten. Denn es ist erstellt, dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeitgeberin ausging und der Versicherte den Betrag von Fr. 30’558.- zweimal ausbezahlt erhielt, was mit der Aufhebungsvereinbarung übereinstimmt. Schliesslich ist die vorinstanzliche Annahme, der Versicherte hätte nicht von sich aus gekündigt, unbeachtlich, da die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis auch ohne dessen Einwilligung jederzeit kündigen konnte, wie sie dies mit Schreiben vom 18. Dezember 2017 auch getan hatte. Die vorinstanzliche Feststellung, der Versicherte sei zum Abschluss des Aufhebungsvertrags gezwungen worden, ist daher offensichtlich unrichtig und somit zu berichtigen (Art. 105 Abs. 2 BGG).» (E.7.1.).

Das Bundesgericht befand weiter, dass die Aufhebungsvereinbarung auch inhaltlich zulässig war, was zu deren Verbindlichkeit führt: «Der Versicherte verzichtete aufgrund der Aufhebungsvereinbarung nur auf die Kündigungsschutzregeln gemäss Art. 336c OR, da auch gemäss Vereinbarung die vertragliche Kündigungsfrist eingehalten wurde (vgl. Arbeitsvertrag vom 31. Oktober 2008). Dafür erhielt er nebst der bereits im Kündigungsschreiben vorgesehenen freiwilligen Abfindung von Fr. 30’558.- eine weitere Entschädigung in gleicher Höhe. Somit wurde er durch die Aufhebungsvereinbarung besser gestellt, als wenn die Kündigung durch die Arbeitgeberin vom 18. Dezember 2017 nicht aufgehoben worden wäre. Zwar war er zwei Monate wegen einer Knieoperation zu 100 % arbeitsunfähig, weshalb sich bei einer ordentlichen Kündigung die Kündigungsfrist gemäss Art. 336c Abs. 2 OR bis Ende August 2018 verlängert hätte. Bei einem Monatslohn von Fr. 11’375.- (inkl. Anteil 13. Monatslohn) hätte er somit zusätzlich Fr. 22’750.- verdient. Von der vereinbarten Gesamtentschädigung von Fr. 61’116.- verblieb ihm nach Abzug der Einzahlung in die Pensionskasse ein Betrag von Fr. 20’000.- (vgl. Art. 10b AVIV) und unter Berücksichtigung des zusätzlichen Lohns von Fr. 22’750.-, den er bei einer ordentlichen Kündigung unter Einhaltung der Sperrfrist mehr verdient hätte, immer noch ein Betrag von Fr. 18’366.-. Sein Verzicht auf einen Anspruch nach Art. 336c Abs. 2 OR wurde somit durch eine zusätzliche Entschädigung der Arbeitgeberin kompensiert.» (E.7.2.).

Urteil des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und hob den kantonalen Entscheid auf. Die Vorinstanz hatte zu Unrecht Ansprüche auf Arbeitslosenentschädigung für gewisse Monate bejaht (E.8.).

Kommentar zum Urteil

Auf wenn das Urteil 8C_94/2020 vom 9. Juli 2020 von der I. sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts stammt, behandelt es im Kern die Aufhebungsvereinbarung bzw. den Aufhebungsvertrag. Im Kern geht es um die Ausgewogenheit einer Aufhebungsvereinbarung, welche den Arbeitnehmer vor allem auch nicht schlechter stellen darf als eine ordentliche Kündigung des Arbeitsvertrages.

Auch und vor allem ruft das Urteil aber wieder einmal in Erinnerungen, dass im Arbeitsrecht bei der Auflösung von Arbeitsverhältnissen auch einen Schritt weitergedacht werden muss – zumindest aus der Perspektive von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Es stellt sich nämlich die zentrale Frage, ob ein eine Aufhebungsvereinbarung – im Gegensatz zu einer Kündigung durch den Arbeitgeber – bei der Arbeitslosenversicherung nachteilige Folgen haben kann. Eine mögliche Lösung zur Milderung dieses Risikos kann in der Praxis sein, dass im Aufhebungsvertrag festgehalten wird, dass dieser die Alternativen zur arbeitgeberseitigen Kündigung darstellte.

Von: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

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