Verbot der Abgeltung von Ruhezeiten

Im Urteil 8C_663/2020 vom 13. Januar 2021 hatte sich das Bundesgericht mit einem interessanten Fall aus dem öffentlichen Personalrecht zu befassen. Es geht im Kern um die verfassungskonforme Auslegung von Art. 22 ArG, d.h. vom Verbot der Abgeltung von Ruhezeiten. Der Fall zeigt exemplarisch auf, wie schwierig Rügen vor dem Bundesgericht sind, wenn das Bundesgericht, wie im vorliegenden Fall, das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bei der Anwendung und Auslegung von Art. 22 ArG verneint, weil alles klar sei.

Bestimmung von Art. 22 ArG

Die Bestimmung von Art. 22 ArG (Verbot der Abgeltung von Ruhezeiten), welche im Urteil 8C_663/2020 vom 13. Januar 2021 im Fokus steht, lautet wie folgt: «Soweit das Gesetz Ruhezeiten vorschreibt, dürfen diese nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden, aus­ser bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.»

Sachverhalt

Der 1967 geborene A. war vom 1. Juni 2008 bis zu seiner Kündigung auf den 31. März 2019 als Schichtführer-Stellvertreter bei der Interkommunalen Anstalt Limeco (nachfolgend: Limeco) angestellt gewesen. Diese gehört acht Trägergemeinden. Mit Verfügung vom 1. April 2019 lehnte die Limeco einen von A. geltend gemachten Anspruch auf Entschädigung für geleistete Nachtarbeit ab. Das Anstellungs- und Arbeitszeitreglement der Limeco sehe neben der Schichtzulage und den besonderen Zeitgutschriften für Schichtmitarbeitende keinen zusätzlichen Nachtzuschlag vor. Den dagegen von A. geführten Rekurs wies der Bezirksrat Dietikon mit Beschluss vom 19. März 2020 ab.

Verfahren Vorinstanzen

Die gegen den Beschluss vom 19. März 2020 erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 10. September 2020 ab.

Arbeitnehmer A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und eventualiter subsidiäre Verfassungsbeschwerde führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die Interkommunale Anstalt Limeco zu verpflichten, ihm die Zeitzuschläge für geleistete Nachtarbeit nach beendetem Arbeitsverhältnis wie folgt zu entgelten: Fr. 2057.10 ab 1. Januar 2015, Fr. 1964.80 ab 1. Januar 2016, Fr. 1549.53 ab 1. Januar 2017, Fr. 2018.65 ab 1. Januar 2018, Fr. 2047.45 ab 1. Januar 2019 und Fr. 415.25 ab 1. April 2019 (mit jeweils 5 % Zins). Auf die Durchführung eines Schriftenwechsels wurde verzichtet.

Auslegung und Anwendung Art. 22 ArG im vorliegenden Fall als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung?

Der Beschwerdeführer bringt vor Bundesgericht vor, es liege eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, da sich das Bundesgericht noch nicht mit Art. 22 des Bundesgesetzes vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (ArG; SR 822.11) befasst habe. Es bestehe ein dringendes und allgemeines Interesse für eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Bundesrechts, da rund 14 % der Arbeitnehmenden Nachtschicht leisten würden und auch die hier streitbetroffene Arbeitgeberin werde die nachträgliche Abgeltung des Nachtarbeitszeitzuschlags für weitere betroffene Mitarbeiter vom Ausgang des vorliegenden Verfahrens abhängig machen. (E.1.4.).

Das Bundesgericht verneint das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundliegender Bedeutung in diesem Fall mit den folgenden Ausführungen: «Aus Art. 22 ArG geht klar hervor, dass während des Arbeitsverhältnisses eine Abgeltung von gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten durch Geld oder andere Vergünstigungen verboten ist und nicht bezogene Ruhezeiten lediglich nach Beendigung desselben finanziell abgegolten werden dürfen (vgl. Wegleitung zum ArG des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, November 2006, Allgemeines zu Art. 22). Die Betrachtungsweise der Vorinstanz, wonach gestützt auf diese Norm kein eigentlicher Anspruch auf finanzielle Abgeltung nicht gewährter oder bezogener Ruhezeiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht, entspricht, soweit ersichtlich, der einhelligen Auffassung von Lehre und kantonaler Rechtsprechung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt sich in dieser Konstellation nicht, da somit kein allgemeines Interesse besteht, die hier umstrittene Frage im Sinne der einheitlichen Anwendung und Auslegung von Art. 22 ArG höchstrichterlich zu klären und Rechtssicherheit herzustellen (vgl. JULIA HÄNNI/LUKAS XAVER MEYER, in: Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 36 f. zu Art. 85 BGG).» (E.1.5.).

Damit sind die vorgebrachten Rügen, wie das Bundesgericht feststellt, einzig im Rahmen der eventualiter erhobenen subsidiären Verfassungsbeschwerde im Sinne der Art. 113 ff. BGG zu beurteilen.

Frage der Verletzung von Art. 22 ArG

Streitig ist gemäss Bundesgericht, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie den einen Anspruch auf Entschädigung für geleistete Nachtarbeit verneinenden Beschluss des Bezirksrats Dietikon vom 19. März 2020 schützte (E.2.1.).

Das Bundesgericht macht die folgenden allgemeinen materiellrechtlichen Ausführungen zu Art. 22 ArG: «Arbeitnehmer, die dauernd oder regelmässig wiederkehrend Nachtarbeit leisten, haben Anspruch auf eine Kompensation von 10 Prozent der Zeit, während der sie Nachtarbeit geleistet haben. Die Ausgleichsruhezeit ist innerhalb eines Jahres zu gewähren. Für Arbeitnehmer, die regelmässig abends oder morgens höchstens eine Randstunde in der Nachtzeit arbeiten, kann der Ausgleich auch als Lohnzuschlag gewährt werden (Art. 17b Abs. 2 ArG). Auf den Zeitzuschlag (als Ausgleichsruhezeit) nach Art. 17b Abs. 2 ArG für dauernde oder regelmässige Nachtarbeit kann verzichtet werden, wenn ein Arbeitszeitmodell nach Art. 17b Abs. 3 ArG besteht, das weniger belastend ist als übliche Arbeitszeitsysteme, in denen der erwähnte Zeitzuschlag gewährt wird (Urteil 2C_308/2008 vom 5. März 2009 E. 6). Soweit das Gesetz Ruhezeiten vorschreibt, dürfen diese – wie schon gezeigt (vgl. E. 1.5) – nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden, ausser bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 22 ArG).» (E.2.2.).

Das Bundesgericht erklärte, dass es gemäss der Vorinstanz unbestritten sei, dass die nach den hier anwendbaren Bestimmungen des Arbeitsgesetzes zu gewährende Ausgleichszeit bei Nachtarbeit (E. 2 hiervor) nicht mehr tatsächlich bezogen werden könne, nachdem das Arbeitsverhältnis beendet worden sei. Ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehe nach Lehre und zugänglicher kantonaler Rechtsprechung nicht. Ein solcher müsse sich auf eine andere gesetzliche oder vertragliche Regelung stützen können, welche hier nicht vorliege. Der Beschwerdeführer habe überdies für geleistete Arbeit Lohn erhalten und zusätzlich eine Schichtzulage von 10 %, bei einer Schichtdauer von acht Stunden. Ferner habe er während der ganzen Dauer des Arbeitsverhältnisses nie geltend gemacht, ihm sei anstelle des Lohnzuschlags Ausgleichsruhezeit zu gewähren. Diesen Anspruch habe er erhoben, nachdem er gekündigt habe und die Gewährung von Ausgleichsruhezeit faktisch nicht mehr möglich gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe dementsprechend nur eine finanzielle Abgeltung am Ende des Arbeitsverhältnisses für die als unrechtmässig gerügte Vereinbarung über einen Lohnzuschlag anstelle einer Ausgleichsruhezeit während seiner Anstellung erhalten wollen. Dieses Verhalten sei rechtsmissbräuchlich. (E.3.).

Der Beschwerdeführer macht gemäss Bundesgericht eine willkürliche Anwendung von Art. 22 ArG geltend, woraus eine finanzielle Abgeltung der geleisteten Nachtarbeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehe. Ferner sei namentlich nicht ersichtlich, dass ein Nachtarbeitszuschlag anders zu beurteilen sei als Überstunden- oder Überzeitguthaben, die monetär abzugelten seien, sodass der angefochtene Entscheid gegen das Gleichheitsgebot verstosse. (E.4.2.).

Das Bundesgericht führt weiter aus: «Die Parteien sind sich einig, dass bei der überkommunalen Anstalt mit Aufgaben im Bereich Energieversorgung, Kehrrichtverwertung und Abwasserreinigung das Arbeitsgesetz Anwendung findet. Gemäss den Erwägungen des Verwaltungsgerichts vermittelt das Arbeitsgesetz dem Arbeitnehmer auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen unmittelbaren Anspruch auf Abgeltung der nicht gewährten Ruhezeit durch Geldleistungen. Es hat sich dabei auf die herrschende Lehre und kantonale Rechtsprechung gestützt (vgl. bspw. MÜLLER/ MADUZ, ArG Kommentar, 8. Aufl. 2017, N. 3 zu Art. 22 ArG). Weshalb der hieraus gezogene Schluss unhaltbar sein soll, vermag der Beschwerdeführer nicht schlüssig aufzuzeigen. Er beruft sich insbesondere auf einen Entscheid des Kantonsgerichts Wallis vom 30. Mai 2018 (C1 16 210). Die Vorinstanz führte hierzu zutreffend aus, dass sich jener Fall um einen im Stundenlohn beschäftigten Arbeitnehmer gedreht habe, dem während der Anstellung weder ein Lohnzuschlag noch Ausgleichsruhezeit während der Anstellung gewährt worden sei. In jener Konstellation sei der Zeitzuschlag naturgemäss immer ein Lohnzuschlag. Das Bundesgericht bestätigte diesen Entscheid des Kantonsgerichts letztinstanzlich mit Urteil 4A_389/2018 vom 22. August 2018. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesgericht nur zu prüfen hatte, ob es rechtsmissbräuchlich ist, wenn der Arbeitnehmer einen jahrelang entsprechend vollzogenen Arbeitsvertrag erst nach seiner Kündigung in Frage stellt. Unter dem im vorliegenden Fall (einzig) zu beurteilenden Aspekt der willkürlichen Anwendung von Art. 22 ArG lässt sich hieraus nichts zugunsten des Beschwerdeführers gewinnen. Entgegen seiner Ansicht hat das kantonale Gericht unter Verweis auf Lehre und kantonale Rechtsprechung sachlich haltbare Gründe genannt, weshalb Art. 22 ArG keinen unmittelbaren Anspruch auf monetären Ausgleich des nicht gewährten Ruhezeitzuschlags von 10 % nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründet, wobei der Beschwerdeführer unbestrittenermassen Lohn für die geleistete Arbeit und eine Schichtzulage von 10 % erhalten hat. Der angefochtene Entscheid verstösst nicht gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV).» (E.5.1.).

Das Bundesgericht fährt fort: «Ebenso wenig liegt eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots (Art. 8 Abs. 1 BV) vor, wenn die Vorinstanz für während des Arbeitsverhältnisses nicht gewährte Ausgleichsruhezeit nach Art. 17b ArG auf einen nicht zwingenden Anspruch auf finanziellen Ausgleich derselben nach Vertragsbeendigung erkannte. Denn eine unrechtmässige Ungleichbehandlung der Ausgleichsruhezeit mit der finanziellen Abgeltung von Überstunden und Überzeit, wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht wird, ist bereits mit Blick auf die unterschiedliche gesetzliche Regelung von Überstunden und Überzeit im Verhältnis zu Art. 22 ArG nicht gegeben. Art. 321c OR sieht ausdrücklich vor, dass von der (gesonderten) Überstundenentschädigung abweichende Vereinbarungen getroffen werden dürfen. Was die Überzeit angeht, hat der Arbeitgeber laut der (zwingenden) Bestimmung nach Art. 13 Abs. 1 ArG den Arbeitnehmern für die Überzeitarbeit einen Lohnzuschlag von wenigstens 25 Prozent auszurichten. Demgegenüber dürfen laut Art. 22 ArG die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden, weshalb sich die vorinstanzliche Auslegung von Art. 22 ArG auch mit Blick auf das verfassungsmässige Gleichbehandlungsgebot halten lässt (vgl. E. 1.5 hiervor).» (E.5.2.).

Dass sodann im vorliegenden Fall eine andere gesetzliche oder vertragliche Grundlage für eine Abgeltung von nicht bezogener Ausgleichsruhezeit für Nachtarbeit besteht, macht der gemäss dem Bundesgericht der Beschwerdeführer auch letztinstanzlich nicht geltend (vgl. PORTMANN/PETROVIC, Handkommentar zum Arbeitsgesetz [Hrsg. Geiser/von Kaenel/Wyler], Bern 2005, Art. 22 ArG N. 9 ff.).(E.5.3.).

Das Bundegericht kommt anschliessend im Urteil 8C_663/2020 vom 13. Januar 2021 zu folgendem Fazit und weist die Beschwerde des Beschwerdeführers ab: «Ob die Vorinstanz überdies das Vorgehen des Beschwerdeführers in willkürlicher Weise als rechtsmissbräuchlich qualifiziert hat, braucht nach dem soeben Dargelegten nicht beurteilt zu werden. Auch eine Bejahung dieser Frage änderte nichts am Ergebnis einer verfassungskonformen Auslegung von Art. 22 ArG durch die Vorinstanz. Damit hat es beim angefochtenen Entscheid sein Bewenden.» (E.5.4.).

Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.arbeitsrechtplus.ch

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