Vertragsbestandteil oder Weisung des Arbeitgebers?

Arbeitsverhältnisse werden durch verschiedene Rechtsquellen geregelt. Dazu gehört in erster Linie zwingendes Gesetzesrecht, wie etwa zahlreiche zwingende Bestimmungen von Art. 319 ff. OR sowie das Arbeitsgesetz (ArG) und seine Verordnungen. Der Arbeitgeber hat in vielen Bereichen des Arbeitsverhältnisses aber die Wahl, ob er bestimmte Themenbereich mit dem Arbeitnehmer einvernehmlich regelt, etwa im schriftlichen Arbeitsvertrag und dessen integrierten Bestandteilen, oder ob er hierfür einseitige Weisungen des Arbeitgebers nach Art. 321d Abs. 1 OR vorzieht. Diese Unterscheidung ist von grosser Bedeutung.

In der arbeitsrechtlichen Praxis ist es nicht selten, dass Arbeitgeber mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern relativ kurze Einzelarbeitsverträge schliessen, in welchen nur einzelne Punkte wie Aufgabenbereich, Lohn, Beginn des Arbeitsverhältnisses, Kündigungsfrist, etc. definiert werden. Natürlich gehören in einen solchen Arbeitsvertrag auch Vertragsabreden, welche zwingend schriftlich vereinbart werden müssen, wie etwa Konkurrenzverbote.

Viele weiteren Bereiche sind dann in Arbeitsreglementen, Code of Conducts oder anderen Dokumenten geregelt. Diese können zum Vertragsbestandteil erhoben oder durch einseitige Weisungen des Arbeitgebers erlassen werden. Dabei handelt es ich

Vereinbarung oder Weisung des Arbeitgebers?

Ein absolut wesentliches Kriterium der Unterscheidung im Arbeitsrecht ist ob eine bestimmte Regelung aufgrund einer gegenseitigen Vereinbarung, welcher der Arbeitnehmer zugestimmt hat, oder auf einseitiger Weisung des Arbeitgebers (Art. 321d OR) beruht.

Davon hängt nämlich ab, ob der Arbeitgeber die betreffende Regelung einfach jederzeit einseitig abändern kann oder ob er hierfür der Zustimmung des Arbeitnehmers bedarf oder allenfalls die Modifikation mit einer sog. Änderungskündigung erwirken muss.

Weisungsrecht des Arbeitgebers (Art. 321d Abs. 1 OR)

Gemäss der zentralen Norm von Art. 321d Abs. 1 OR kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Ausführung der Arbeit sowie das Verhalten im Betrieb Weisungen allgemeine Anordnungen oder besondere Weisungen erteilen.

Der Arbeitnehmer hat diese Weisungen nach Treu und Glauben zu beachten (Art. 321 Abs. 2 OR).

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist Ausdruck des Subordinations­verhältnisses des Arbeitnehmenden gegenüber dem Arbeitgeber.

Allgemeine Anordnungen vs. besondere Weisungen

Allgemeine Anordnungen des Arbeitgebers gelten für sämtliche Arbeitnehmer oder für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern. Solche allgemeine Anordnungen nach Art. 321d Abs. 1 OR kommen in der arbeitsrechtlichen Praxis weitaus häufiger vor als Betriebsordnungen nach dem ArG. Ein Grund hierfür ist, dass allgemeine Anordnungen – im Gegensatz zu Betriebsordnungen – nicht der behördlichen Kontrolle unterliegen.

Besondere Weisungen richten sich an einen bestimmten Arbeitnehmer. Allenfalls kann eine besondere Weisung sich auch an mehrere Arbeitnehmer richten. Oft betreffen solche besonderen Weisungen individuelle Fragen der Arbeitsausführung oder des Verhaltens am Arbeitsplatz.

Vorteile von Weisungen nach Art. 321d Abs. 1 OR für Arbeitgeber

Allgemeine Weisungen des Arbeitgebers nach Art. 321d OR haben für den Arbeitgeber einen grossen Vorteil, der in der Praxis oft übersehen wird: Der Arbeitgeber kann diese grundsätzlich einseitig jederzeit aufheben oder abändern.

Wenn der Arbeitgeber den rechtlichen Weg über gemeinsame Vereinbarung wählt, dann vergibt er sich Flexibilität und die Möglichkeit des raschen bzw. sofortigen Handelns.

Oft ist es als Arbeitgeber besser bestimmte Themen im Arbeitsverhältnis als einseitige Weisungen nach Art. 321d Abs. 1 OR zu erlassen als sie zu Vertragsbestandteilen zu erklärten. Dies gilt u.a. für IT-Reglemente, Code of Conducts, Weisungen zum Verhalten im Betrieb, Hygienevorschriften etc.

Wenn hingegen solche Themen in Vertragsbestanteilen oder im Einzelarbeitsvertrag selber geregelt sind, können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dagegen opponieren und zumindest das Erfordernis einer Änderungskündigung gelten machen zu versuchen.

Aktuelles Praxisbeispiel Covid-19

Als aktuelles Praxisbeispiel können hier Regelungen zu Covid-19 und diesbezüglichen Massnahmen im Betrieb erwähnt werden. Hier ändert sich die wissenschaftliche und die rechtliche Lage wenn nicht täglich, dann wöchentlich.

Deshalb ist es für Arbeitgeber essentiell, dass sie allgemeine Weisungen betreffend Massnahmen im Betrieb, etwa Abstands- oder Hygienevorschriften immer nur einseitig als Arbeitgeberweisungen i.S.v. Art. 321d Abs. 1 OR erlassen. Nur so bleibt die hier zwingend notwendige Flexibilität des Arbeitgebers erhalten.

Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

Andere Artikel (Auswahl):

 

 

Kommentare (0)

Wir verwenden Cookies, um unsere Website und Ihr Navigationserlebnis zu verbessern. Wenn Sie Ihren Besuch auf der Website fortsetzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zum Datenschutz finden Sie hier.

Akzeptieren ×