Begriff der Vorsichtskündigung
Die Vorsichtskündigung ist eine ordentliche Kündigung innerhalb der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist durch den Arbeitgeber. Sie wird deshalb ausgesprochen, weil der Arbeitgeber das Gefühl hat, dass die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer «auf dem Absprung ist» bzw. bald die Stelle wechseln möchte. Durch den planbaren Stellenwechsel durch die arbeitgeberseitige Kündigung möchte der Arbeitgeber sich die Umtriebe ersparen, die eine arbeitnehmerseitige Kündigung hervorruft, die sogenannte Vorsichtskündigung.
Entstehung des Verdachts
Der Verdacht des Arbeitgebers, der zur Vorsichtskündigung führt, kann aus diversen Gründen entstehen. Man kann keine abschliessende Aufzählung von Gründen geben. Oft spielt der Zufall eine Rolle, die Schweiz ist ja klein und übersichtlich, und in den einzelnen Branchen kennt man sich auch. Jemand wird bei Bewerbungsgesprächen gesehen oder es fällt auf, dass er sich für ein bestimmtes anderes Unternehmen interessiert.
Im Internet- und Datenzeitalter entsteht für den Arbeitgeber bzw. die HR-Abteilung nun auch die Möglichkeit, Daten systematisch auszuwerten und auch die Profile der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Sozialen Medien systematisch zu überwachen. In der Geschäftswelt stehen natürlich LinkedIn und XING im Vordergrund. Aber in Portalen wie Instagram oder Facebook sind auch viele gewollte und auch ungewollte Informationen zu finden, welche eigentlich nicht für den Arbeitgeber bestimmt sind.
Richtlinien für Datenbearbeitung durch Arbeitgeber
Als Grundsatz gilt, dass der Arbeitgeber nur Daten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bearbeiten darf, welche das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses notwendig sind. Als Rechtsgrundlage dient das Obligationenrecht, namentlich der Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers sowie die Spezialbestimmung von Art. 328b OR, sowie das Bundesgesetz über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 (DSG). Die laufende Revision des Datenschutzgesetzes (DSG), welche derzeit in den Eidgenössischen Räten noch zu behandeln ist, wird hier keine relevanten Gesetzesänderungen nach sich ziehen.
Ein zentraler Grundsatz des Datenschutzrechts ist das Verhältnismässigkeitsprinzip. Dieses findet auch auf den Arbeitgeber Anwendung. Es dürfen nur so viele Daten wie absolut nötig bearbeitet werden.
Es existiert keine klare Rechtsprechung und auch kein Bundesgerichtsurteil zum Thema der Grenzen der Datenauswertung von Arbeitnehmern durch Arbeitgeber, insbesondere betreffen Internetnutzung und Sozialen Medien. Aufgrund der Grundsätze der Datenbearbeitung dürfte ein solches Verhalten des Arbeitgebers zumindest als sehr fragwürdig angesehen werden.
Zulässigkeit von Vorsichtskündigungen im Schweizer Arbeitsrecht?
Zur Vorsichtskündigung existiert keine gefestigte Praxis und auch kein Bundesgerichtsurteil. Wenden wir uns deshalb den verschiedenen Arten der Kündigung zu.
Im Schweizer Arbeitsrecht gilt die Kündigungsfreiheit. Innerhalb der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist darf jede Partei, auch der Arbeitgeber, ohne das Vorliegen von besonderen Gründen die Kündigung aussprechen.
Ausnahmen bestehen bei der Kündigung während den Sperrfristen (sogenannte Kündigung zur Unzeit) von Art. 336c OR. Eine Verdachtskündigung während einer Sperrfrist wäre, wie jede andere Kündigung seitens des Arbeitgebers auch, nichtig.
Klar ist, dass eine Verdachtskündigung nicht als fristlose Kündigung nach Art. 337 ff. OR zu qualifizieren sein dürfte. Diese kann nur aus «wichtigem Grund» erfolgen. Dieser muss dem Arbeitgeber nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verunmöglichen (Art. 337 Abs. 2 OR). Stellenwechsel und Kündigungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehören zum gewöhnlichen Lauf der Dinge im Arbeitsrecht. Hieraus dürfte kein Grund für eine fristlose Kündigung seitens des Arbeitgebers konstruiert werden können.
Es bleibt also noch die Prüfung der Frage, ob eine Verdachtskündigung als missbräuchliche Kündigung im Sinne von Art. 336 OR qualifiziert werden könnte. Hierzu kann man keine allgemeingültige Antwort geben. Denn es gilt einerseits das Prinzip der Kündigungsfreiheit. Für den Arbeitgeber gibt es nach Treu und Glauben gute Gründe, an einer stabilen Personalplanung interessiert zu sein. Bei Fällen von groben Rache-Verdachtskündigungen, insbesondere auch wenn weitere Vorkommnisse zur Diskussion stehen, kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer sich erfolgreich auf eine missbräuchliche Kündigung berufen könnte. In der Rechtspraxis könnte es hier aber oft zu Beweisschwierigkeiten seitens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommen. Denn bei der Verdachtskündigung kann es sich um einen nicht nachweisbaren Verdacht des Arbeitgebers handeln, vor allem in kleineren Verhältnissen und bei KMUs. Im Personaldossier dürften zu diesem Verdacht i.d.R. auch keine Dokumente zu finden sein, welche nähere Aufschlüsse bringen.
Von: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch
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