Sexuelle Belästigung im Homeoffice

Das Homeoffice boomt in der Schweiz seit dem COVID-19 Lockdown. In vielen Unternehmen wird nach wie vor vorwiegend oder zumindest viel mehr als vorher im Homeoffice gearbeitet. Im Homeoffice verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privat. Es gibt Unternehmen, welche virtuelle Happy Hours und Apéros feiern. Die neuen Techniken, wie u.a. Zoom, Microsoft® Teams oder Google Meet, geben den Arbeitskollegen sowie auch Dritten, wie z.B. Kunden, auch plötzlich tiefen Einblick in die privaten Wohnverhältnisse. Der Dresscode ist auch nicht selten deutlich lockerer als im Büro. Sexuelle Belästigung im Homeoffice ist daher ein äusserst aktuelles Thema in dieser neuen arbeitsrechtlichen Normalität.

Die sexuelle Belästigung ist sowohl durch Art. 328 OR als auch durch Art. 4 Gleichstellungsgesetz (GlG) geregelt. Bei der Diskriminierung durch sexuelle Belästigung nach Art. 4 GlG handelt es sich um eine Spezialbestimmung zum allgemeinen Diskriminierungsverbot von Art. 3 GlG. Adressat ist ausschliesslich der Arbeitgeber. Erfasst sind sowohl sowohl die heterosexuelle als auch die homosexuelle Belästigung, also die Belästigung von Mann zu Frau, Frau zu Mann, Mann zu Mann und Frau zu Frau. In der arbeitsrechtlichen Praxis überwiegen sexuelle Belästigungen von Männern an Frauen deutlich. Die Dunkelziffer ist bei sexuellen Belästigungen erfahrungsgemäss sehr hoch. Und im Homeoffice dürfte sie noch höher liegen, da es i.d.R. keine Zeugen gibt.

Fallgruppen der sexuellen Belästigung
In der arbeitsrechtlichen Praxis finden sich u.a. die folgenden Fallgruppen der sexuellen Belästigung, welche natürlich nicht als abschliessend anzusehen sind:
– Bemerkungen über persönliche bzw. körperliche Vorzüge und Schwächen;
– Obszönes sexistisches Reden (anstössige Witze oder Bemerkungen)
– Anstarren, Pfeifen, taxierende Blicke;
– Unterwünschte Annäherungen;
– Unanständige Bilder oder Fotos am Arbeitsplatz (einschliesslich EDV);
– Versenden von Mitteilungen mit groben sexuellen Witzen, unanständigen Fotos, Bildern oder Videos mit pornografischem Inhalt;
– Zurschaustellen der Geschlechtsteile, sexueller Missbrauch, Nötigung und Vergewaltigung.

Eine einzige Handlung genügt bereits, um den Tatbestand der sexuellen Belästigung zu erfüllen. Denn sexuelle Belästigung setzt keine systematischen, d.h. über eine längere Zeit stattfindenden, Übergriffe voraus.

Vermischung von Arbeit und Freizeit – neue Dimension durch das Homeoffice
Bereits vor der Zeit des Homeoffice Booms kam es zu einer vermehrten Vermischung von Arbeit und Freizeit. Die Umgebung am Arbeitsplatz wird liberaler, die «Du»-Form immer häufiger (oder sogar vom Arbeitgeber für alle aufgezwungen), Büros enthalten immer mehr Freizeitelemente (Sofaecken, grosse Begegnungsräume, Spiel- und Spasselemente). Das Homeoffice mit Blick in die Wohnstube oder sogar ins Schlafzimmer kann nun als nächste Stufe der Steigerung angesehen werden.

Handlungsorte der sexuellen Belästigung nach Art. 4 GlG
Der Tatbestand von Art. 4 GlG betrifft jegliches diskriminierende Verhalten, welches die Würde am Arbeitsplatz betrifft. Der Gesetzeswortlaut und die Botschaft gehen aber nicht auf die Frage der möglichen Handlungsorte der sexuellen Belästigungen ein.
Zu den mögliche Handlungsorten der sexuellen Belästigungen gehört nicht nur der physische Arbeitsplatz beim Arbeitgeber, sondern sämtliche Orte, welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihre Tätigkeit aufsuchen müssen, einschliesslich dem Homeoffice.
Es ist deshalb absolut klar, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Homeoffice (und natürlich auch bei virtueller Arbeit von Drittorten) vor sexueller Belästigung geschützt werden müssen. Das ist die logische Fortsetzung der Digitalisierung bzw. Virtualisierung des Arbeitsplatzes.

Schutz vor allen Personen, einschliesslich Dritten
Homeoffice bedeutet heute Kontakte in alle Richtungen. Virtuelle Teammeetings, Einzelmeetings mit Vorgesetzten oder Arbeitskollegen (virtuelle Vier-Augen-Kontakte), Kontakte mit Kunden und Lieferanten und anderen Drittpersonen. Adressat von Art. 4 GlG ist zwar immer der Arbeitgeber. Die Norm schützt aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch vor Dritten, wie z.B. Kunden.

Besondere Gefahren vom Homeoffice
Auch wenn beim Homeoffice kein direkter körperlicher Kontakt möglich ist – dadurch entfallen gewisse mögliche Tatbestände der sexuellen Belästigungen, wie ungewünschte Berührungen oder Küsse – ist das Risiko von sexuellen Belästigungen im Homeoffice kaum geringer als am Arbeitsplatz. Im Gegenteil, das Risiko dürfte sogar höher sein im Homeoffice, zumindest wenn Videofunktionen, wie Zoom, eingesetzt werden. Denn man blickt (wohl erstmals) den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in die Wohnung und in Zonen der Privatsphäre, wie das Wohnzimmer oder allenfalls sogar das Schlafzimmer. Die wenigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verfügen über voll ausgebaute, getrennte Arbeitszimmer. Bei der COVID-19 Pandemie ist zudem zu bedenken, dass die meisten Personen praktisch über Nacht unvorbereitet im Homeoffice gelandet sind.

Massnahmen gegen sexuelle Belästigung im Homeoffice durch Arbeitgeber
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, sowohl aus Art. 328 OR als auch aus dem Gleichstellungsgesetz GlG, alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor sexueller Belästigung bzw. sexueller Diskriminierung zu schützen und dafür alle notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen.
Im Bereich des Homeoffice muss das Thema der sexuellen Belästigung im Homeoffice-Reglement oder in allgemeinen Richtlinien des Arbeitgebers zu sexuellen Belästigungen geregelt werden.

Der Eigenverantwortung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist natürlich auch ein genügender Stellenwert einzuräumen. So dürfte es wenig vorteilhaft sein, Videokonferenzen aus dem Schlafzimmer zu führen. Der Arbeitgeber kann hier aber auch Richtlinien im Homeoffice-Reglement durchgeben, so dass etwa Videokonferenzen, insbesondere mit Kunden, vor einem neutralen Hintergrund stattfinden. Hier kann der Arbeitgeber auch erwägen, Hintergründe mit seinem Brand oder Logo den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen, welche einfach an der Wand montiert oder einfach aufgestellt werden. So kann dem Homeoffice durch eine relativ einfache Massnahme ein geschäftlicherer Touch gegeben werden, welcher auch soziale Distanz schafft.

Rechtsansprüche der von der sexuellen Belästigung betroffenen Personen
Hier stehen die Rechtsansprüche nach dem Gleichstellungsgesetz (GlG) im Vordergrund. Die von der sexuellen Belästigung im Homeoffice betroffenen Person hat die Möglichkeit, auf Unterlassung oder Beseitigung zu klagen oder die Belästigung als Fall der Diskriminierung feststellen zu lassen (Art. 5 Abs. 1 GlG).

Weiter tritt den Arbeitgeber – nur dieser ist Adressat von Art. 4 GlG, unabhängig davon, ob die sexuelle Belästigung von Dritten begangen wurde – eine Entschädigungspflicht, wenn er nach dem Vorkommen der sexuellen Belästigung den Entlastungsbeweis nicht zu erbringen vermag. Durch den Entlastungsbeweis muss der Arbeitgeber aufzeigen, dass er alle Massnahmen getroffen hat, die zur Vermeidung von sexuellen Belästigungen notwendig und angemessen sind und ihm auch billigerweise zugemutet werden können (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GlG).
Mögliche Massnahmen zur Vermeidung von sexuellen Belästigungen im Homeoffice durch den Arbeitgeber sind u.a.:
– Weisungen an alle Arbeitnehmer bezüglich Verhaltens im Homeoffice («Homeoffice»-Kodex), unter angemessenem Einbezug der sexuellen Belästigung;
– Betriebsinterne Anlaufstelle für Opfer von sexueller Belästigung im Homeoffice, wobei immer sowohl Personen des weiblichen als auch des männlichen Geschlechts zur Verfügung gestellt werden sollten;
– Interne Untersuchungen von möglichen Fällen der sexuellen Belästigung im Homeoffice;
– EDV-Monitoringsysteme im Rahmen des gesetzlich zulässigen Rahmens.

Misslingt dem Arbeitgeber der Entlastungsbeweis, so ist nach Art. 5 Abs. 3 und 4 GlG eine Entschädigung von maximal sechs Durchschnitts¬monatslöhnen (in der Praxis verwenden Schweizer Gerichte den tieferen Medianlohn) geschuldet. Die Entschädigung muss unter Berücksichtigung aller Umstände durch den Richter festgesetzt werden. Der effektive Monatslohn der betroffenen Person spielt hier keine Rolle. Deshalb ist diese Entschädigung auch sehr attraktiv für Personen aus Niedriglohngruppen.

Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

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