Fristlose Kündigung eines leitenden Angestellten wegen Verlassen des Arbeitsplatzes

Im Urteil 4A_296/2020 vom 6. August 2020 befasste sich das Bundesgericht mit einem Fall aus der Luzerner Hotellerie. Der Küchenchef eines Hotels hatte den Arbeitsplatz während laufendem Service verlassen, worauf der Arbeitgeber die fristlose Kündigung aussprach. Die ersten beiden kantonalen Instanzen, der Einzelrichter des Arbeitsgerichts sowie das Kantonsgericht Luzern hielten die fristlose Kündigung für ungerechtfertigt. Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde nicht ein, machte jedoch einige Ausführungen zur fristlosen Kündigung.

Sachverhalt

Herr B. (Arbeitnehmer, Beschwerdegegner) arbeitete ab dem 3. Juni 2017 als Küchenchef in U.________ im Hotel X. bei der A.________ AG (Arbeitgeberin, Beschwerdeführerin). Am 29. Januar 2018 sprach die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer die fristlose Kündigung aus, nachdem er am Freitagabend 26. Januar 2018 seinen Arbeitsplatz während laufendem Service verlassen hatte.

 

Prozessgeschichte

Mit Klage vom 15. November 2018 beim Arbeitsgericht Luzern beantragte der Arbeitnehmer u.a., die Arbeitgeberin sei zu verpflichten, ihm brutto Fr. 12’566.70 nebst Zins zu 5 % seit 1. April 2018 zu bezahlen.

Mit Urteil vom 12. November 2019 verpflichtete der Einzelrichter des Arbeitsgerichts die Arbeitgeberin, dem Arbeitnehmer netto Fr. 11’784.40 nebst 5 % Zins seit 1. April 2018 zu bezahlen.

Eine dagegen gerichtete Berufung der Arbeitgeberin wies das Kantonsgericht Luzern, Einzelrichterin, mit Urteil vom 29. April 2020 ab. Es erwog, das Arbeitsgericht habe zu Recht eine ungerechtfertigte fristlose Kündigung des Arbeitnehmers durch die Arbeitgeberin angenommen. Auch unter Berücksichtigung seiner Stellung als Küchenchef vermöge das Verhalten des Arbeitnehmers vom 26. Januar 2018 und dem darauffolgenden Wochenende für sich alleine keine derart grobe Pflichtverletzung zu begründen, welche eine fristlose Kündigung als ausserordentliche Massnahme rechtfertigen würde. Bei Pflichtverletzungen wie dem unentschuldigten Verlassen des Arbeitsplatzes bzw. dem Fernbleiben von diesem bedürfe es nach ständiger Rechtsprechung wiederholter Vorkommnisse und einer entsprechenden Kündigungsandrohung durch die Arbeitgeberin. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.

Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 4. Juni 2020 beantragt die Arbeitgeberin dem Bundesgericht sinngemäss, es sei die Klage des Beschwerdegegners betreffend Entschädigung infolge ungerechtfertigter fristloser Auflösung des Arbeitsverhältnisses vollumfänglich abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 

Ausführungen der Beschwerdeführerin bzw. Arbeitgeberin vor Bundesgericht

Die Beschwerdeführerin macht geltend, es würden sich gleich zwei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen. Einerseits gelte es zu klären, wie viel Aufwand eine Arbeitgeberin zu betreiben habe, um einen Arbeitnehmer, der sich unentschuldigt vom Arbeitsplatz entfernt habe, zu kontaktieren bzw. ob der Versuch, ihn zu kontaktieren, ausreichend sei. Andererseits müsse höchstrichterlich die Frage entschieden werden, ob das unentschuldigte einmalige Verlassen des Arbeitsplatzes eines leitenden Angestellten eine schwere Pflichtverletzung darstelle, die eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen vermöge (E.1.3.).

 

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat aus formellen Gründen auf die Beschwerde nicht ein.

 

Allgemeine Ausführungen des Bundesgerichts zur fristlosen Kündigung

Das Bundesgericht äusserte sich trotz des Nichteintretensentscheids wie folgt zur fristlosen Kündigung: «Ob Nach der Rechtsprechung zu Art. 337 OR ist eine fristlose Kündigung durch die Arbeitgeberin nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Diese müssen einerseits objektiv geeignet sein, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist, und anderseits auch tatsächlich dazu geführt haben. Sind die Verfehlungen weniger schwerwiegend, müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein (BGE 142 III 579 E. 4.2 S. 579; 130 III 28 E. 4.1 S. 31, 213 E. 3.1 S. 220 f.). Die Treuepflicht des Arbeitnehmers (Art. 321a Abs. 1 OR) gilt für leitende Angestellte in erhöhtem Masse, weshalb eine Verletzung dieser Pflicht durch solche Angestellte schwerer wiegt (BGE 130 III 28 E. 4.1 S. 31; 127 III 86 E. 2c S. 89; 104 II 28 E. 1 S. 29 f.; Urteil 4A_349/2017 vom 23. Januar 2018 E. 4.2). Ob die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung die erforderliche Schwelle erreicht, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (BGE 142 III 579 E. 4.2 S. 580; 127 III 153 E. 1a S. 155; zit. Urteil 4A_349/2017 E. 4.2).» (E.1.3.1.)

Daraus ergibt sich gemäss Bundesgericht, dass die Frage, wie bei einem leitenden Angestellten das unentschuldigte Verlassen des Arbeitsplatzes zu beurteilen ist, nicht unabhängig vom konkreten Einzelfall beurteilt werden kann. Dies gilt erst recht auch für die erste von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage. Es kann offensichtlich nicht abstrakt festgelegt werden, welchen Aufwand die Arbeitgeberin zu betreiben hat, um einen Arbeitnehmer, der sich unentschuldigt vom Arbeitsplatz entfernt hat, zu kontaktieren.

Die Anwendung rechtsprechungsgemässer Prinzipien auf einen Einzelfall stellt gemäss dem Bundesgericht aber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG dar. Die Beschwerdeführerin zeigt somit keine konkrete Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, an deren höchstrichterlicher Klärung ein allgemeines und dringendes Interesse bestünde, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung der massgebenden Bestimmungen herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen.

Die Beschwerde in Zivilsachen ist gemäss Bundesgericht somit nicht zulässig. Eine Entgegennahme der Beschwerde als subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113-119 BGG) kommt mangels hinreichend begründeter Rügen der Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 116 BGG) nicht in Frage (E.1.3.2.).

 

Bemerkungen zum Entscheid des Bundesgerichts

Im Urteil 4A_296/2020 vom 6. August 2020 trat das Bundesgericht nicht auf die Beschwerde ein. Es zeigt dadurch auf, dass die Hürde einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung eine hohe Schwelle ist.

Da sich das Bundesgericht dennoch zur fristlosen Kündigung äusserte, gibt es materiellrechtlich die folgenden (nicht wirklich neuen) Takeaways:

  • Bei leitenden Angestellten wiegen Pflichtverletzungen schwerer, dazu gehört auch ein Küchenchef.
  • Ob eine Pflichtverletzung die Schwelle des wichtigen Grundes für eine fristlose Kündigung erreicht hängt immer vom Einzelfall ab.
  • Eine fristlose Kündigung ist nur bei schweren Pflichtverletzungen (ohne vorhergehende Abmahnung) zulässig

Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

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