Dieses Urteil des Bundesgerichts 8C_626/2020 vom 21. Dezember 2020 betrifft zwar das öffentliche Personalrecht. Seine Ausführungen lassen sich aber eins zu eins auch auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse übertragen.
Sachverhalt
A.A. war seit 8. April 2013 als Fachspezialist bei der Division Personenverkehr der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) tätig. Nach vorgängiger Ankündigung mit Gewährung des rechtlichen Gehörs vom 10. Februar 2020 löste die SBB das Arbeitsverhältnis mit Verfügung vom 17. Februar 2020 fristlos auf.
Verfahrenszug
Die gegen die Kündigung erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 9. September 2020 ab.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.A. beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids seien ihm der Lohn bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist Ende Juni 2020 zuzüglich Zins von 5 % ab 30. Juni 2020 sowie eine Entschädigung in der Höhe von neun Bruttomonatslöhnen zuzüglich Zins von 5 % ab 20. Februar 2020 auszurichten; eventualiter sei die Sache zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
Ausführungen des Bundesgerichts
Streitig und zu prüfen vor Bundesgericht war, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die Rechtmässigkeit der fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäss Verfügung vom 17. Februar 2020, namentlich das Vorliegen eines wichtigen Grundes sowie die Rechtzeitigkeit der Kündigung, bestätigte (E.3.).
Anwendbare arbeitsrechtliche Bestimmungen
Auf das Personal der SBB finden, wie das Bundesgericht ausführt, gemäss Art. 15 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. März 1998 über die Schweizerischen Bundesbahnen (SBBG; SR 742.31) die Bestimmungen des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000 (BPG; SR 172.220.1) Anwendung. Ergänzend ist der gestützt auf Art. 15 Abs. 2 SBBG und 38 Abs. 1 BPG erlassene Gesamtarbeitsvertrag 2019 der SBB (GAV) anwendbar.
Die Vorinstanz legte gemäss dem Bundesgericht die Bestimmungen und Grundsätze über die für eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen wichtigen Gründe (Art. 10 Abs. 4 BPG und Ziff. 176 Abs. 1 und 2 GAV) zutreffend dar. Ziff. 176 Abs. 2 GAV hält nämlich fest, dass als wichtiger Grund jeder Umstand gilt, bei dessen Vorhandensein der kündigenden Partei nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf. Die Voraussetzung zur fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses orientiert sich damit, wie das kantonale Gericht korrekt darlegte, an den „wichtigen Gründen“ gemäss Art. 337 Abs. 2 des Obligationenrechts (OR), der die fristlose Auflösung privatrechtlicher Arbeitsverhältnisse regelt (vgl. BGE 143 II 443 E. 7.3 S. 456).
Sachverhaltsfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht verneinte zunächst eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (E.4.1).
Sachverhaltlich stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der Beschwerdeführer habe C., die in der relevanten Zeitspanne keinen Anspruch auf Fahrvergünstigung gehabt habe, unbestrittenermassen mehrfach Ermässigungskarten für vergünstigte Fahrscheine bei Zugreisen im Ausland zur Nutzung überlassen oder solche selbst zur Buchung verwendet. Er habe unstreitig reglementswidrig gehandelt, indem er C. den für B.A. ausgestellten, nicht übertragbaren FIP-Ausweis und die DB-Netzkarte zum Kauf von vergünstigten Fahrkarten überlassen bzw. die FIP-Vergünstigung für die Bestellung genutzt habe. Erschwerend wirke sich dabei aus, dass der Missbrauch über die ohne Anspruch erfolgte Verwendung des persönlich für B.A. ausgestellten FIP-Ausweises, die diesen nie selbst erhalten habe, mit einer Täuschung über die Identität der Berechtigten einher gegangen sei. Zumindest einen Teil der Vorfälle habe der Beschwerdeführer erst im Laufe der Befragung vom 4. Februar 2020 bzw. der internen Untersuchung auf Nachfrage hin eingestanden, nachdem er sie zuvor nicht offengelegt habe. (E.4.2).
In Würdigung der Umstände erkannte das Bundesverwaltungsgericht, der Beschwerdeführer habe schwerwiegend gegen die Treuepflicht verstossen. Erschwerend sei zu berücksichtigen, dass die missbräuchlich genutzten Ermässigungen und die damit verbundenen Mindereinnahmen gerade ausländische Bahnunternehmen und Geschäftspartner der SBB betroffen hätten, mit denen der Beschwerdeführer selbstständig und in massgeblicher Rolle zusammengearbeitet habe. Dadurch sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitgeberin unzumutbar geworden. In ihrer Gesamtheit stellten die Verfehlungen im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Fahrvergünstigungen und den wahrheitswidrigen Angaben bei der internen Untersuchung einen objektiv wichtigen Grund für die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses ohne vorgängige Verwarnung dar. Die fristlose Kündigung sei gemäss dem Bundesverwaltungsgericht in Anbetracht der konkreten Verhältnisse nicht verspätet erfolgt. Infolge der gerechtfertigten fristlosen Entlassung habe der Beschwerdeführer weder Anspruch auf Fortzahlung des Lohns bis zum Ablauf der (hypothetischen) ordentlichen Kündigungsfrist noch auf eine Entschädigung. (E.4.3).
Interessant ist hier, dass das Bundesverwaltungsgericht bezüglich des Grunds der fristlosen Kündigungen sowohl auf die konkreten Verfehlungen des Arbeitnehmers als auch auf sein Verhalten in der internen Untersuchung der SBB bezog.
Das Bundesgericht äussert sich zu den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz sowie zu den Vorbringen des Beschwerdeführers wie folgt: «Die vorinstanzliche Beurteilung beruht auf einer einlässlichen Würdigung der Sach- und Rechtslage. Die Vorbringen in der Beschwerde vermögen nicht, sie in tatsächlicher Hinsicht als offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen, zumal sie sich weitgehend in appellatorischer Kritik erschöpfen und sich im Übrigen auf eine Darlegung der eigenen Sichtweise beschränken.» (E.5.1).
Kernausführungen des Bundesgerichts und Bedeutung des Verhaltens bzw. Aussageverhaltens in der internen Untersuchung
Das Bundesgericht äussert sich nachher wie folgt: «Soweit beschwerdeweise erneut das Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestritten wird, fasst der Beschwerdeführer die auslösenden Umstände zu eng. Entgegen seiner Auffassung geht es hier nicht nur um eine Verletzung wichtiger gesetzlicher und vertraglicher Pflichten, die allenfalls Grund für eine ordentliche Kündigung wären. Das Bundesverwaltungsgericht legte einlässlich dar, dass der wichtige Grund für eine fristlose Entlassung in einem schwerwiegenden Verstoss gegen die in Art. 20 Abs. 1 BPG und Ziff. 36 GAV verankerte Treuepflicht lag, also in der Pflicht der Angestellten, die berechtigten Interessen ihres Arbeitgebers wie auch des Bundes im Sinne einer sogenannt doppelten Loyalität zu wahren. Zu diesem Verstoss führten, wie die Vorinstanz aufzeigte, nicht allein der mehrfache bzw. wiederholte Missbrauch von Fahrvergünstigungen, sondern auch das Aussageverhalten des Beschwerdeführers während der Untersuchung und dessen fehlende Reue hinsichtlich des unrechtmässigen Verhaltens. Berücksichtigt wurde insbesondere auch die Funktion des Beschwerdeführers im Bereich der internationalen Distribution, aufgrund der von ihm im Zusammenhang mit internationalen Fahrvergünstigungen und den einschlägigen Reglementen eine erhöhte Treuepflicht gegenüber seiner Arbeitgeberin sowie ein höheres Mass an Loyalität und Rechtsbewusstsein hätten erwartet werden dürfen. Unter den gegebenen Umständen – so die Vorinstanz – seien die Verfehlungen des Beschwerdeführers geeignet gewesen, das in ihn gesetzte Vertrauen als Grundlage der Fortführung des Arbeitsverhältnisses und der Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern zu beeinträchtigen, sodass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses infolge des schwerwiegenden Verstosses gegen die Treuepflicht für die Arbeitgeberin unzumutbar geworden und die fristlose Entlassung gerechtfertigt gewesen seien.» (E.5.2). Es führte weiter aus, dass sich hier der Beschwerdeführer nicht mit den überzeugenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts substantiiert auseinandergesetzt hätte.
Zur Rüge der fehlenden Rechtzeitigkeit der fristlosen Entlassung
Der Beschwerdeführer rügt weiter, mit der Bejahung der Rechtzeitigkeit der fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses habe die Vorinstanz Bundesrecht verletzt. (E.5.3).
Auch hier spielte, wie das Bundesgericht ausführt, der Faktor eine zentrale Rolle, dass betreffend der fristlosen Kündigung nicht durch das fehlerhafte Verhalten des Arbeitnehmers und seine ursprünglichen Verfehlungen eine Rolle spielten, sondern auch sein Verhalten bzw. Aussagenverhalten in der folgenden internen Untersuchung des Arbeitgebers sowie die fehlende Reue des Arbeitnehmers.
Dazu das Bundesgericht: «Das Bundesverwaltungsgericht zeigte überzeugend auf, dass als wichtiger Grund für die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht allein der Vorfall vom 31. Dezember 2019, sondern neben dem wiederholten Missbrauch von Fahrvergünstigungen auch das Aussageverhalten des Beschwerdeführers während der Untersuchung und dessen fehlende Reue hinsichtlich des unrechtmässigen Verhaltens zu beachten gewesen seien. Beim Ereignis vom 31. Dezember 2019 sei anlässlich einer Billetkontrolle im Zug festgestellt worden, dass C. einen auf B.A. ausgestellten FIP-Ausweis zum Bezug preisreduzierter Fahrkarten verwendet habe. Der relevante Sachverhalt sei nicht von Beginn an klar gewesen. Der Vorfall vom 31. Dezember 2019 – so die Vorinstanz – habe Abklärungen bei der Stelle „Corporate Security“ ausgelöst und der Beschwerdeführer habe aufgrund seiner Ferienabwesenheit erst am 20. Januar 2020 persönlich befragt sowie zur schriftlichen Stellungnahme aufgefordert werden können. Nachdem er am 22. Januar 2020 schriftlich mitgeteilt habe, C. sei keine Bekannte von B.A., sondern seine neue Partnerin, und er selber habe ihr den FIP-Ausweis überlassen, sei der Fall gleichentags der Abteilung Compliance übergeben worden. Nach Prüfung der Buchungen von C. auf Unregelmässigkeiten ab September 2018 sei der Beschwerdeführer am 4. Februar 2020 befragt und mit den eruierten Vorfällen konfrontiert worden. Im Nachgang zur Befragung habe die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer am 10. Februar 2020 das rechtliche Gehör eingeräumt, wovon er am 14. Februar 2020 Gebrauch gemacht habe, bevor sie am 17. Februar 2020 die fristlose Kündigung ausgesprochen habe.» (E.5.3.1).
Weitere Rügen des Beschwerdeführers
Weitere Rügen des Beschwerdeführers, auf welche hier nicht vertieft eingegangen werden soll, betrafen die Länge der Reaktionszeit (E.5.3.2 und E.5.3.3) sowie die Gewährung des rechtlichen Gehörs (E.5.4). Diese wurden vom Bundesgericht verworfen.
Kommentar zum Urteil 8C_626/2020 vom 21. Dezember 2020
Das Urteil 8C_626/2020 vom 21. Dezember 2020 betrifft zwar das öffentliche Personalrecht. Jedoch lassen sich seine Ausführungen eins zu eins oder mutatis mutandis auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse übertragen.
Die wichtige Take-Home-Message ist hierbei, dass wenn vor dem Entscheid über die Kündigung bzw. sogar fristlose Kündigung des Arbeitnehmers eine interne Untersuchung durchgeführt wird, das Verhalten des Arbeitnehmers hier ebenfalls bei stark mitzuberücksichtigen ist. Insbesondere stellt eine solche interne Untersuchung für den Arbeitnehmer auch die Möglichkeit dar, die Angelegenheit zu retten und allen allenfalls sogar die fristlose Kündigung durch Kooperation in der internen Untersuchung sowie durch Reue zu verhindern.
Von Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch
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